Seite:Badisches Sagenbuch II 167.jpg

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Es war ein steingewordner Baum,
Mit ungeheuerm Schattenraum,
Ein Schiff, deß Masten nimmer wanken,

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Durchwirkt mit Laub und Rosenranken.


Die beiden Wandrer treten ein,
Vom heiligsten Gefühl durchflossen.
Ein bunter Farbendämmerschein
Hat durch die Hallen sich ergossen;

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Die Heilgenbilder rings umher

Getauchet in ein Rosenmeer,
Von Regenbogenglanz umwoben,
Der Dulder an dem Kreuze droben.

Der fromme Knabe sinkt aufs Knie,

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Von Himmelsahnungen durchzücket,

Und spricht: „Nein, ruhen will ich nie,
Bis einst ein solcher Dom mir glücket!“
Der Alte ruft; „Leb’ wohl, Erwin!
Was hier dir nur im Bild erschien,

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Wirst du bald wieder neu gebären,

Und ewig dich dadurch verklären.“ –

Und an der alten Stelle sieht
Der Knabe sich im Walde wieder;
Durchs heimlich flüsternde Gebiet

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Ziehn wieder Nachtigallenlieder;

Und Erwin trägt nun selig fort
Den Traum mit sich von Ort zu Ort,
Besucht viel Meister in der Ferne,
Daß er die ganze Baukunst lerne. –

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Es hebt der Riesen-Dom sich jetzt

Längst über unsers Erwin Grabe;
Solch Denkmal hat der Mann gesetzt
Dem, was im Traume sah der Knabe.
Beglückt, o Straßburg, dessen Ruhm

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Stets blüht in diesem Heiligthum!

Heil, Steinbach, dir, aus dessen Schooße
Hervorgegangen ist der Große!

A. Schzlr.
Empfohlene Zitierweise:
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_167.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)