Seite:Badisches Sagenbuch II 200.jpg

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und das von einer Fülle dunkler Locken umwallte Haupt auf die Hand gestützt. Der Junker stutzte einen Augenblick, trat aber dann, über seine Bedenklichkeit sich selbst innerlich scheltend, mit ritterlichem Gruße auf die Dame zu, doch siehe da! sie zerfloß, wie gestern, in einen lichten Nebelstreif.

Tags darauf theilte der Junker von Keller das Abenteuer dem Burgkastellan, einem klugen bejahrten Manne, mit und erfuhr von ihm: auf der Stelle, wo das Bild sich gezeigt, habe vor alter Zeit ein heidnischer Tempel gestanden, daher diese Stätte beim Volke verrufen sey und Niemand aus der Umgegend es wage, Nachts dort vorüber zu gehen.

Der Junker gehörte weder zu den Leicht- noch zu den Abergläubigen; was ihm der Kastellan mitgetheilt hatte, reizte jedoch seine Neugier auf eine andere Weise. Gleich des andern Tages ließ er an der geheimnißvollen Stelle nachgraben und bald fand man einen kleinen, zierlichen, noch wohlerhaltenen altrömischen Altar, der, nach seiner lateinischen Inschrift, der Nymphe dieses Hains geheiligt war, und einige Schuh tiefer eine Marmorbüste. Die Arme und der Theil des Körpers von der Brust abwerts fehlten und schienen einst absichtlich abgeschlagen worden zu seyn; dagegen konnte man keinen vollendet schöneren Mädchenkopf und Nacken sehen. Der erste Frühlingstraum des Lebens schien um Stirn und Augen zu spielen; ein Schleier umhüllte nur einen kleinen Theil der üppigen Locken, die zum jugendlich schwellenden Busen niederringelten. Der Junker ließ den Altar, so wie das Marmorbild, auf dem Platz aufstellen, wo sie ausgegraben worden, und so entstand der Name: Kellers Bild.

In der Brust des Jünglings hatte jedoch die reizende Marmornymphe wahnsinniger Liebe Flammen angeschürt und er vermochte trotz alles Unheimlichen und Gespensterhaften, welches die Erscheinung im Walde umwoben, sein Herz nimmer länger zu meistern, sondern wandelte bald darauf um die Mitternachtstunde, als gerade der Mond jene Stelle wieder beleuchtete, zu dem Bildnisse. Da saß die jungfräuliche Gestalt am Fuße des Altars, dieselbe, die er schon zweimal gesehen. Aber diesmal löste sie sich nicht, wie sonst, in Nebel auf; ihre Umrisse traten vielmehr immer deutlicher ins Licht, je näher ihr unser Abenteurer kam.

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August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 200. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_200.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)