Seite:Badisches Sagenbuch II 268.jpg

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lange, selbst unter den gebildeten Ständen zum Theil noch, bis auf die Gegenwart erhalten. Hinsichtlich der Abkunft dieser räthselhaften Dame weichen die Erzähler von einander ab. Einige lassen sie aus dem berühmten Hause Meran in Südtyrol abstammen und machen sie zur Gemahlin des Grafen Heinrich oder Otto von Orlamünde, die, als Wittwe, und einem Buhlen zu Gefallen, ihre beiden Kinder gemordet haben soll. Andere versichern, auf dem Schlosse Neuhaus in Böhmen sey ihr Bildniß vorhanden, ganz in derselben Tracht, in der sie zu erscheinen pflege. Dieses Bild stellte aber die gegen Ende des 15. Jahrhunderts verstorbene Bertha von Rosenberg vor, welche an Johann von Lichtenstein verheirathet gewesen.

Es ist bekannt, daß diese weiße Frau noch jetzt in den Residenzschlössern von Berlin, Bayreuth, Darmstadt, Mannheim, Karlsruhe, Baden-Baden u. s. w. umgehen soll, und immer will man sie kurze Zeit vor dem Hinscheiden einer Person aus den ihr verwandten fürstlichen Familien gesehen haben. Jung Stilling führt in seiner „Theorie der Geisterkunde“ das Zeugniß eines Regenten dafür an, den er zwar nicht nennt, dessen Unbefangenheit und strenge Redlichkeit aber verbürgt werden.

Da jedoch die weiße Frau nur in ihr verwandten Fürstenhäusern erscheint, so ist anzunehmen, daß die Gräfin von Orlamünde und die Gräfin von Rosenberg in der Tradition zu Einer und derselben Person gemacht wurden. Wahrscheinlich aber ist es die Erstere, welche in Berlin und Weimar, die Zweite hingegen die, welche in Karlsruhe und früher in Baden-Baden sich zeigte. Das Haus Baden ist nicht mit Orlamünde, wohl aber mit den Grafen von Rosenberg verwandt, da die jüngste Tochter des Markgrafen Philibert von Baden an einen Grafen von Rosenberg vermählt war.

Bertha von Rosenberg, oder die weiße Frau, von welcher wir hier erzählen, wurde im Jahr 1449 mit Johann von Lichtenstein in Steiermark verheirathet. Die Ehe war höchst unglücklich, und Bertha trennte sich von dem ausschweifenden Gatten, gegen den sie einen unauslöschlichen Haß im Busen trug. Später lebte sie zu Neuhaus in Böhmen, wo sie ein Schloß erbaute, wobei ihre Unterthanen lange und schwere Frohnarbeit verrichten mußten, so daß sie oft Verwünschungen gegen die grausame Gebieterin ausstießen, bis sie endlich versprach, sobald das Schloß vollendet seyn würde, ihnen „einen süßen Brei“ aufzutischen, was damals so viel hieß, als: ein reichliches Gastmahl. Sie hielt Wort und verordnete, daß künftig alljährlich ein solches Gastgebot gehalten werden solle, eine Anordnung, der noch bis auf unsere Zeiten treulich nachgekommen worden ist.

Der Geist der Gräfin Bertha erscheint meist bei Nacht, bisweilen auch am lichten Tag. Sie trägt ein schneeweißes Gewand nach dem Schnitt ihrer Zeit; ihr Antlitz umwallt ein feiner durchsichtiger Schleier, der gewöhnlich von einem matten Strahl beleuchtet ist. Besonders grauenvoll –

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August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_268.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)