Seite:Badisches Sagenbuch II 329.jpg

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die Länge der Zeit werde das spröde Täubchen schon kirre machen.

Einige Stunden später öffnete sich wieder leise die Thüre, und vorsichtig trat ein junger Rittersmann von hohem Wuchs und lieblicher Gesichtsbildung in das Gemach. Nachdem er die niedergeschlagene und weinende Gefangene mit Anstand begrüßt, begann er:

„Verzeiht, schöne Gräfin, wenn ich Eure Einsamkeit störe und Eure nur zu gegründete Bekümmerniß unterbreche; allein meine Absicht muß mir zur Entschuldigung dienen. Auf Besuch bei einem Anverwandten hier im Kloster erhielt ich Kunde von Eurem Mißgeschick und von der Schurkerei des Abtes. List erschloß mir die Thüre Eures Gefängnisses und ich komme, Euch meine Dienste anzubieten. Wenn Ihr Euch einem Unbekannten anvertrauen wollt, so sollen hoffentlich die nämlichen Mittel, die mir den Eintritt hierher verschafften, Euch zur Freiheit verhelfen.“

Der gewinnende, einschmeichelnde Ton des jungen Mannes erwarb ihm schnell das Zutrauen des freudig überraschten Mädchens, wozu sein anmuthiges Aeußere nicht wenig beitragen mochte.

„Möge der Himmel Eure wohlmeinende Absicht lohnen!“ – erwiederte sie – „und wenn Euer Vorhaben gelingt, dürft Ihr der vollsten Dankbarkeit meines Vaters gewiß seyn. O, gebt ihm Nachricht von meinem Aufenthalt, wenn es Euch möglich ist; bedenkt, wie er sich um sein verlorenes Kind grämen mag!“

„Von Dank kann hier nicht die Rede seyn,“ – versetzte der Ritter – „denn ich thue nur, was die Pflicht mir gebietet, und wenn mein redliches Unternehmen mir ein freundliches Andenken bei Euch gewinnt, dann fühl’ ich mich überreich belohnt. Eurem Vater Nachricht zu geben, wird indessen wohl schwer seyn, da der Abt überall Spürhunde hat und, falls diese von unserm Unternehmen etwas vermerkten, Euch sicherlich an einen Ort bringen ließe, wo Euch Niemand so leicht entdecken könnte. Doch verlaßt Euch auf mich; ich hafte mit meinem Ritterworte dafür, daß Ihr durch mich Eure Freiheit wieder

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August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 329. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_329.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)