Seite:Badisches Sagenbuch II 460.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

des Grafen Tochter, Adelheid, schön und lieblich wie die erste Rose des Frühlings. Sie pflegte an ihres Vaters Seite zu sitzen, pflegte mitzureden im verständigen Gespräche, und der Gast, dem sie den Becher kredenzte, hatte wohl Mühe, das holde Fräulein wieder zu vergessen, denn ihre Liebenswürdigkeit fand ihres Gleichen in der weiten Runde nimmer.

Zu jener Zeit war die zerstörte Burg Windeck gegen Vertauschung wieder an das Kloster Lorsch zurückgefallen. Der Abt Heinrich, um sich hier einen kräftigen Schirmvogt niederzusetzen, ließ sie wieder aufbauen, schöner und fester als zuvor. Die Oberaufsicht dieses Werkes leitete der Dombaumeister Pilgram von Worms, ein sehr erfahrener Meister, der demnach in dieser Angelegenheit häufig nach Weinheim kam, wo er seine Abendstunden gewöhnlich bei dem Grafen Walther zubrachte. Pilgram war ein seltener Mann, schlicht und einfach in seinem Benehmen, aber geistreich und voll gründlichen Wissens. Durch eine lange Reihe von Jahren hatten viele widrige Schicksale seinen Nacken gebeugt; unter seinen grauen, buschigen Augenbrauen wohnte ein tiefer, ernster, wehmüthiger Blick, der die Schattenseite des Lebens gesehen hatte, jedoch sich alsbald freundlich verklärte, wenn er sich Jemanden näherte und die milde Rede leicht von seinen Lippen floß. Er hatte in Ungarn sich ein Weib genommen, glückliche Jahre verlebt, den Wechsel des Schicksals mit ihr geduldig ertragen und sie viel zu früh verloren. An dem Ufer der Themse war es, wo er unter einer schattigen Eiche ihren Grabeshügel wölbte. Sie hatte ihm einen Sohn geboren, der jetzt, zum Jünglinge herangereift, des Vaters Trost und Freude war. Er widmete sich ebenfalls der Baukunst und arbeitete oben an der Wiederherstellung der Burg Windeck mit.

Der Graf Walther hielt in einem Schrein einen silbernen Becher verschlossen, auf dem die Sonne, zwei Säulen und allerlei Maurergeräthe abgebildet waren. Wenn Meister Pilgram seinen Abend bei dem Grafen zubrachte, tranken Beide aus demselben Becher, nannten sich Brüder und führten viel geheimnißvolle Reden. Zuweilen war auch Albrecht, Pilgrams Sohn, in der Gesellschaft, da kam jener Becher aber nicht auf den Tisch und das Gespräch auf keine geheimen Gegenstände.

Empfohlene Zitierweise:
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 460. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_460.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)