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Herzog Otto der Erlauchte und die schöne Welfentochter.
(Vier Romanzen von Eduard Duller.)
1.
Des Welfischen Pfalzgrafen Heinrich Abendruhe.

Auf hohem lustigem Söller – sein Thron im Neckarthal, –
Da saß der Welfen Pfalzgraf, Herr Heinrich,[1] froh beim Mahl
Und hob den goldnen Becher und sah hinab mit Lust,
Wie sich der Pfalz mit Inbrunst der Rhein schmiegt an die Brust.[2]

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Und sah dann gegen Himmel und wieder auf das Land,

Das Alles ist sein eigen, was rings sein Auge fand!
Doch plötzlich denkt er trüber des Welfenruhms zurück,
Er denkt des alten Löwen und bange für’s alte Glück.

Jetzt schaut er auf die Tochter, die ihm zur Seite steht,

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Von holder Scham geröthet, von süßem Reiz umweht,

Das blaue Kleid umringet des Gürtels goldner Glanz,
Ihr blondes Haar durchschlinget ein blauer Cyanenkranz.

Ihr Auge so klar und freundlich, so mild und ernst zugleich,
So anspruchslos bescheiden – und doch wie überreich!

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Sie schenkt dem alten Manne vom besten teutschen Wein

Aus feingetriebner Kanne zum silbernen Schoppen ein.

Und mit Behagen blickt sie der Vater lächelnd an:
„Hätt’ ich auch keine Grafschaft, – ich wär ein reicher Mann!
’s ist doch die Lieb’ auf Erden ein unschätzbares Wort; –

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Mein Bruder, Kaiser Otto, hat keinen bessern Hort!“


„Wie lächelt uns rings im Frieden das Land so lieblich an,
Wie zieht der Strom danieden so klar die blaue Bahn,
Wo goldne Aehren wogen und mit den Häuptern nicken,
Als dankten sie der Sonne für Vollkraft und Erquicken!“

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„Die Sonne scheint ja wärmer und leuchtet doppelt schön,

Auf friedliches Gelände herab von ihren Höh’n,
Die Sterne funkeln reiner und frömmer im Azur,
Als wenn sie Haß bescheinen auf blutgedüngter Flur!“


  1. [491] Dieser Welfische Pfalzgraf vom Rhein war der erstgeborene Sohn des ehemals sogewaltigen Welfen, Heinrichs des Löwen, Bruder des im Jahr 1197, neben Philipp von Schwaben erwählten teutschen Königs Otto IV.
  2. [491] Zu diesen Pfalzlanden beim Rhein gehörten ein großer Theil des fruchtbaren Kraichgau’s, Heidelberg mit ihren beiden Vesten, die Residenz des Pfalzgrafen, ein Landstrich der alten Grafschaft Zweibrücken, dazu die Herrschaft Bacharach am Rheine, mit der Burg Stahleck und vielen Wein- und Getraidebauenden Dorfschaften. – Kein Pfalzgraf stand in andern Ländern so hoch, mächtig und hochangesehen, als der Pfalzgraf bei Rhein; denn er war daselbst eigenherrlicher Gebieter, von keinen Landständen beschränkt; er vertrat den König, wenn der Thron des Reiches ledig, und verwahrte dessen Kleinodien für den künftigen Herrscher, den er selbst krönen half. etc.
    (Siehe Zschokke’s Bayrische Geschichte II. Band, II. Buch, V. Abschnitt.)
Empfohlene Zitierweise:
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 484. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_484.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)