Seite:Badisches Sagenbuch II 574.jpg

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Sacke in den Verdacht gebracht. Ich bin bereit, meine Unschuld durch ein Gottesurtheil zu beweisen.“

„Es sey,“ – sprach der Richter. Darauf brachte man eine glühende Pflugschar und unversehrt wandelte der Beklagte langsamen Schrittes mit bloßen Füßen darüber hin. Richter und Kläger sahens mit Staunen und riefen: „Unschuldig!“ Und nun erzählte Joseph den Hergang, wie er zu dem Sacke gekommen. Dabei beschrieb er den Dieb so genau, daß man in ihm einen Einwohner derselben Stadt erkannte. Der Richter läßt ihn sogleich herbeiholen. Er war inzwischen auf Nebenwegen nach Hause gekommen. Man ergreift ihn; bei Josephs Anblick gesteht er sogleich im Verhör seine Schuld und muß sie noch am selbigen Tage mit dem Leben büßen.

Als Joseph aber darauf wieder von dannen zog, umringten ihn auf einer einsamen Stelle in dem Walde, durch welchen sein Weg führte, die Verwandten und Diebsgenossen des Gehängten: „Du bist der Urheber seines Todes! du hast unsern Meister verrathen! dein Tod soll ihn rächen!“ Mit diesem Geschrei stürzten sie auf ihn los, hingen ihn am nächsten Baume auf, und eilten davon.

Da kamen einige Hirten zufällig in die Nähe. Den hängenden Körper sehen und vom Stricke losschneiden, war das Werk eines Augenblicks. Da jedoch der Jüngling kein Lebenszeichen mehr von sich gab, schickten sie sich an, ihn zu begraben. Indem sie aber noch beschäftigt waren, sein Grab aufzuwerfen – siehe, da sprengt vom nahen Hügel daher ein Ritter in weißem Gewande auf schneeweißem Rosse, von strahlendem Lichtglanz umflossen. Die Hirten werfen sich demüthig zur Erde nieder und beten: „Herr, Herr! erbarme dich unser!“ Der lichtglänzende Reiter schwingt sich vom Pferde, faßt die Leiche in seine Arme, besteigt mit ihr seinen Schimmel wieder und ist im Fluge den Blicken der staunenden Hirten entschwunden.

Es war ein Engel des Herrn gewesen. In seinen Armen belebte sich die Leiche wieder und als Joseph zu sich selbst kam, fand er sich bei dem Amphitheater in Verona liegen und sah seinen Herrn, der ihm voraus gereist war, gerade auf sich zukommen. Nachdem er ihm sein wundervolles Abenteuer erzählt, gleitete ihn der Knabe nach Rom und kehrte später mit ihm nach Teutschland zurück.

Empfohlene Zitierweise:
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 574. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_574.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)