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Da sieht er sie plötzlich gleiten

In einen Felsenspalt.

Er kann nicht widerstehen,
Es drängt ihn mächtig hinein –
Kein Mensch hat ihn mehr gesehen,

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Verschlossen bleibt der Stein.
A. Schzlr.
(Vergl. Aloys Schreibers’ „Sagen aus den Rheingegenden und dem Schwarzwalde.“ Heidelberg 1839. S. 104.)


Der getreue Hirsch.

Zu Hornberg am Neckar wohnte einst ein tapferer Ritter, der im gelobten Lande große Thaten verrichtet hatte. Er hieß Bertram der Wecker und hatte eine schöne fromme Gemahlin, mit Namen Adelheid, und eine ebenso brave Tochter, die Mechtilde hieß. Als Letztere achtzehn Jahre alt war, und schon mancher Edelmann um ihre Hand warb, da nahm der Tod ihre Mutter weg und der Vater ging eine zweite Ehe ein, weil er hoffte, noch einen Sohn und Stammeserben zu erhalten. Diese zweite Frau hieß Clotilde und war sehr boshaft, aber reich, und brachte dem Ritter Bertram ein großes Heirathsgut, der auch seiner Frau Alles vermachte, und der Tochter nur die Fräulein-Aussteuer bestimmte, die auch damit zufrieden war. Ein ganzes Jahr lang ertrug Mechtilde schweigend und geduldig die bösen Sitten ihrer Stiefmutter, die auch einen Sohn bekam, so daß zu Mechtilden nach und nach die Liebe ihres Vaters geringer wurde. Einst kam er von der Jagd und brachte ein junges lebendiges Hirschkalb mit, das er seiner Tochter schenkte, die es sorgfältig aufzog. Der junge Hirsch wurde ganz zahm und sie ließ ihm oft sein Futter in einem Hängkorb zur Burg hinab. Da begab es sich, daß zu Wien ein großes Turnier gehalten wurde, und Bertram zog dahin. Kaum war er fort, so fing die Stiefmutier mit Mechtilden Streit an und ließ sie in’s Burgverließ werfen. Aber der Burgvogt und alle Knappen setzten sich so herzhaft dagegen, daß Clotilde ihre

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August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 595. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_595.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)