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Nun überwölbten Eichen ihr Gemach,

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Die harten Felsen sangen all’ ihr nach,

Wenn sie am Kreuz davor laut betend sprach.

Gemildert ward ihr Schmerz in wenig Zeit,
Vom Kreuz herab trof Himmelssüßigkeit,
Und Friede füllte sie und Seligkeit.

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Auch auf den Wald kam Frieden weit und breit,

Da that kein Thier dem andern was zu leid,
Und Ur und Bär stand vor ihr, wie gefeit.

Die Singevöglein bauten Nester hier,
Und Hirsch und Reh und allerlei Gethier,

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Das schüchtern ist, fand Ruh’ in dem Revier.


Und, brach sie einen grünen Zweig, so kam
Das all’ heran und Jedes aß und nahm,
Sie heilete sie auch, war Eines lahm.

Was sie gepflanzt, trug reichlich überall;

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Grub sie im Gärtlein, flog die Nachtigall

Ihr auf das Haupt und sang mit süßem Schall.

Trat sie im rothen Morgenlicht hervor,
Sang jedes Vöglein mit ihr Morgenchor,
Am höchsten stieg der Lerche Lied empor!

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Von tausend Blüthen duftete der Hain

Und Bienenschwärme flogen aus und ein
Durch ihre Zell’ und bauten Waaben drein.

So lebte sie allda in Einsamkeit:
Da kam einst, um die Abendglockenzeit,

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Ein Engel und sie war zum Tod bereit.


Er betete mit ihr und als sie schwieg,
Sank hin der Leib und ihre Seele stieg
Empor zum Himmel aus der Erde Krieg.

Empfohlene Zitierweise:
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 602. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_602.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)