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Ein heilig Lied steigt zum Azur empor

Und ernster rauscht die gottgeweihte Leier,
Und immer lichter glüht der heil’ge Funken
Der Andacht in des frommen Greises Brust;
Er kniet am Moosaltar, sich selber kaum bewußt,

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In Gottes Lieb’ und Ehrfurcht hingesunken,

Da rauscht’s im Haine wunderbar,
Wie wenn sich Geister in den Aesten wiegen;
Der sel’ge Traum entflog, die Saiten schwiegen –
Ein bleicher Waller trat vor den Altar,

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In dürftigem Gewand, gelehnt am Wanderstabe,

Und bat um eine milde Gabe.

„Gott segne dich!“ Mit diesem trauten Wort
Führt Lukas zu der stillen Buchenhütte
An seiner Hand den armen Pilger fort,

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Denn kaum noch trugen ihn die müden Schritte;

Er trocknet sein Gewand und beut
Ihm süße Labung dar für die erschöpften Glieder,
Und als er ihm ein Bett von weichem Moos gestreut,
Da schließen sich die schweren Augenlieder,

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Und heller Glanz umweht, wie Sternenlicht,

Des Pilgers bleiches Angesicht.

Doch Lukas eilt mit leisem Schritte
Ins stille Kämmerchen hinein
Und fleht in liebevoller Bitte:

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„Erlös’ ihn, Herr! von seiner Pein,

Und wolle Trost und Frieden ihm verleih’n!“
Er sprichts und hofft auf Gottes Segen;
Da fliegt in hehrer Lichtgestalt
Der Pilger ihm verklärt entgegen;

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Ein schneeiges Gewand umwallt

Den hohen Leib’ und wunderbar
Erglänzt das milde Augenpaar.

„Erhört ist dein Gebet!“ – ruft ihm der Engel zu, –
„Auf! gehe freudig ein in Gottes ew’gen Frieden,

Empfohlene Zitierweise:
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 605. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_605.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)