Seite:Badisches Sagenbuch II 653.jpg

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„Bringt der Durst mich nicht um, so werden mich hier die hungrigen Wölfe zerreißen;
O mein Weib! meine Kinder, ihr Lieben, ihr seyd bald Wittwe und klagende Waisen!“

Da tönt vom Himmel süßer Klang herab –

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Hoch droben sieht er eine Glocke schweben –

Er kennt am Klang sie, die den Frühgruß gab,
Die Glocke Wertheims ist’s, er hörts mit Beben;
Hell tönt sie fort – da wirft auf’s Knie er sich
Und betet aus des Herzens tiefstem Grunde:

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„Wohl bringst du, Glocke, heut zum Beten mich!

O Gott, verzeih!“ ruft er mit blaßem Munde.

Und die Glocke sie senkt vor den Grafen sich hin und wandelt mit mahnendem Schallen
Ihm voraus in dem Wald und er lichtet sich bald vor ihr zu geräumigen Hallen.
Auf taucht nun der Mond, stets zieht sie voran, im silbernen Klange sich wiegend,

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Bis der Morgen erglüht, da erhebt sie sich schnell, nach Wertheim’s Thurme hin fliegend.


Nach Wertheims Thurm, der durch den leisen Flor
An des bekannten Thales Saum erscheinet –
Erschüttert tritt der Graf durchs hohe Thor
Bald in sein Schloß, wo Alles zagt und weinet.

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Voll Jubels von den Seinigen umringt,

Stillt rasch sein Anblick seines Weibes Klagen:
„Sey ruhig! Wenn die Glocke wieder klingt,“
– Ruft er, sie küßend, – „werd’ ich nie mehr jagen!“

(Aus der in der Didaskalia, Jahrg. 1844, ohne Namen des Dichters, mitgetheilten Serie Mainsagen, Nr. 263 vom 22. Septbr. Einige Verbesserungen, des dort sehr holprigen Versmaaßes glaubte sich der Herausgeber wohl erlauben zu dürfen.)
Empfohlene Zitierweise:
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 653. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_653.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)