Seite:Band II - Der Osten (Holl) 255.png

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von Plutarch schon damit erbracht (S. 16), daß Athanasius in der Einleitung über γένος ἦθος παιδεία des Antonius spreche, daß er in zeitlicher Folge erzähle und einen pädagogisch–moralischen Nebenzweck verfolge. Es ist allerdings richtig, daß auch Athanasius in der Einleitung einige Angaben über Herkunft, Gemütsart und Bildung des Antonius macht. Er muss uns seinen Helden doch erst vorstellen, ehe er uns dessen Geschichte erzählt. Aber diese Einleitung steht bei Athanasius in einem völlig andern Verhältnis zum Ganzen des Werks als bei Plutarch.

     Denn vor allem ist die Zielsetzung bei beiden Schriftstellern eine durchaus verschiedene. Plutarch will einen bestimmten Menschen herausbringen; einfach so wie er tatsächlich gewesen ist, ob gut oder böse. Athanasius dagegen zeichnet eine ideale Entwicklung, die für andere vorbildlich sein soll. Er führt darum seine Erzählung auf ein Ziel, auf einen Schluß hinaus; Plutarch kann sie eben nur endigen lassen. Bei Plutarch ist das „Pädagogisch–Moralische“ wirklich nur „Nebenzweck“; die Beurteilung kommt erst hintendrein, während bei Athanasius das Erbauliche schon in der Darstellung selbst liegt.

     Damit hängt das weitere zusammen. Plutarch unterbaut seine Lebensbeschreibung mit einer eingehenden Schilderung des Charakters und der Umstände, unter denen sein Held geboren wurde. Er sammelt diesen Stoff so vollständig wie irgend möglich. Auch kleine Züge sind ihm bedeutsam, wenn sie nur auf die Persönlichkeit ein Licht werfen. Denn für ihn ist der Lebensverlauf nur die Entfaltung desjenigen, was von Anfang an in dem Menschen liegt. Er hat seine künstlerische Aufgabe um so besser gelöst, je restloser er den fertigen Mann und sein Schicksal aus den gegebenen Bedingungen ableiten kann. Athanasius dagegen nimmt seinen Ausgangspunkt bei dem Zwiespalt zwischen dem höheren und dem niederen Streben des Menschen. Für ihn besteht der Reiz darin, den Zusammenstoß, das innere Ringen, den Sieg des Guten in einem Menschen zu schildern. Und zwar kämpft Antonius nicht etwa mit einer ihm eigentümlichen bösen Anlage, sondern mit der allen gemeinsamen Menschennatur. Daher läßt Athanasius, umgekehrt wie Plutarch, im Bild seines Helden alle Züge weg, die dessen Wesen in seiner Besonderung ausmachen. Sie sind für ihn zufällig, nebensächlich. Wenn er in der Einleitung bei dem Knaben Antonius die Frömmigkeit und die Abneigung gegen weltliche Wissenschaft hervorhebt, so sind das nur Eigenschaften, die dem künftigen Mönch überhaupt, nicht solche, die dem Antonius ausschließlich zukommen.

     Es handelt sich um zwei von Grund aus verschiedene Gattungen. Wenn man Epos und Drama miteinander verwechseln darf, dann darf man auch Plutarch und Athanasius zusammenbringen.

     Aber auch ein anderer, mit ungleich bessern Mitteln unternommener Versuch, die Form des Heiligenlebens geschichtlich zu erklären, will nicht befriedigen. Reitzenstein[1] meinte von der Aretalogie aus das Rätsel lösen zu können. Nach dem Bisherigen wird es indes nur weniger Worte bedürfen, um deutlich zu machen, daß der Kern der Sache damit nicht getroffen ist. Reitzenstein selbst gibt hiefür die Mittel an die Hand. Er beschreibt das Wesen der Aretalogie folgendermaßen (S. 97): „in einfachster Weise, ohne innere Verbindung, reiht sich (in der Aretalogie) πρᾶξις


  1. Hellenistische Wundererzählungen 55.
Empfohlene Zitierweise:
Karl Holl: Die schriftstellerische Form des griechischen Heiligenlebens. J. C. B. Mohr, Tübingen 1928, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Band_II_-_Der_Osten_(Holl)_255.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)