Seite:Band II - Der Osten (Holl) 280.png

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Fasten vor Ostern genüge, die Sünden des verflossenen Jahres wegzuwischen. Wenn aus ihrer Mitte heraus der Rat erteilt wurde, auch leichtere Sünden dem Priester zu bekennen, so stand der Befolgung dieser Mahnung nicht nur entgegen, daß vereinzelt sich ein prinzipielles Bedenken gegen ein Bekenntnis vor Menschen, wo es nicht unbedingt notwendig ist, regte. Chrysostomos ist feinfühlig genug, um das Gefährliche eines Bekenntnisses zu empfinden; er weiß, daß das Schamgefühl dadurch ertötet wird, und auch sonst ist man in der griechischen Kirche dessen eingedenk, daß eine Sünde durch das Aussprechen erst recht befestigt werden kann. Aber mehr noch stand etwas anderes dem im Wege, daß die ihrer Sünde wegen bekümmerten Gläubigen sich gerade an die Priester gewendet hätten. Der erste, der zum Bekenntnis auch leichterer Sünden ermahnte, Origenes, hat auch die Warnung hinzugefügt, sich nicht jedem Beliebigen anzuvertrauen: nur ein erfahrener Arzt kann den Schaden heilen; man prüfe wohl, wer des Vertrauens würdig sei! Diese Warnung hat sich der griechischen Kirche tief eingeprägt, und als unter dem Einfluß des Beispiels, das die Mönche gaben, auch in der Kirche die Gewohnheit einer Beichte aufkam, da wandte man sich mehr und mehr nicht an die Priester, sondern an die, die tatsächlich das Vertrauen besaßen, d. h. an die Mönche. Von der Zeit des Bilderstreits bis zum Ende des dreizehnten Jahrhunderts hat das Mönchtum hier ausschließlich Buße und Beichte verwaltet. Erst am Ende dieses Zeitraums gelingt es der Kirche, die Sache an sich zu reißen, und nicht ohne daß sie der festgewurzelten Auktorität der Mönche Konzessionen machen mußte. Jahrhunderte hindurch galt noch der Mönchspriester als der allein zum Beichtvater Befähigte, und das besondere Zutrauen zum Mönch hat sich heute noch in Rußland, wie auf griechischem Boden erhalten. So wie die Beichte in der griechischen Kirche die längste Zeit hindurch bestand, hat sie gewiß Segen gestiftet. Sie hat vor allem heilsam dem Wahn entgegengearbeitet, den die kirchliche Bußdisziplin erzeugen mußte, als ob nur die sogenannten Todsünden ernst zu nehmende Sünden seien, und sie hat dahin gewirkt, den Sinn für Sammlung, für Einkehr bei sich selbst, auch bei gewöhnlichen Christen zu wecken. – Soweit überhaupt das Christentum in der griechischen Kirche Herzenssache ist, trägt das sittliche handeln den Charakter der μετανοία, d. h. sein Motiv ist das des Mönchtums. Aber das Mönchtum hat auch dafür gesorgt, daß das Wort den rechten Sinn behielt, den des ernsthaften Willens der Sinnesänderung.

Indessen höher als sein Verdienst um die Weckung sittlichen Ernstes ist anzuschlagen, was das Mönchtum für die Erhaltung und Belebung des Gottesgefühls in der griechischen Kirche getan hat. Es ist für jede Kirche Lebensfrage, ob das Bewußtsein, daß sie mit Gott in lebendiger Beziehung stehe, in ihr wach bleibt oder nicht. Wer von außen an die griechische Kirche herantritt, bekommt leicht den Eindruck, daß sie in Formen erstarrt sei. Im Mittelpunkt des religiösen Lebens steht ein Kultus mit reicher, schwer verständlicher Symbolik, auch das Bekenntnis hat seine wesentliche Bedeutung als Stück des Kultus, als feierliche Aussprache unerforschlicher Geheimnisse, eine übermäßige Zahl von Festen füllt das Kirchenjahr, so daß kaum mehr ein Unterschied zwischen heiliger und festloser Zeit zu bestehen scheint, und auf die sinnlichste Empfindung, auf das Auge, ist es berechnet, wenn die heiligen Bilder als unveräußerlicher Bestandteil des Kultus gelten. Wo so viel

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Karl Holl: Über das griechische Mönchtum. J. C. B. Mohr, Tübingen 1928, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Band_II_-_Der_Osten_(Holl)_280.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)