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ging es zur schönen neuen Steinbrücke über die Windau,[1] wo die Stadt im Abendschimmer in nächster Nähe vor mir lag. Links von der Brücke rauschte unten im Flusse, so daß es weithin schallte, ein Wasserfall, die 6 Fuß hohe Rummel. In der Stadt geleitete mich der kleine Sohn eines Friseurs, eines echten „Goldinger Kindes", durch mehrere enge und krumme Straßen und Gassen, deren es hier recht viele gab, zum Hause meines Kommilitonen I.

25. Juli. Über die Entstehung der Stadt Goldingen und des Wasserfalles bei ihr gibt es verschiedene Sagen. Nach der einen soll sie von Riesen erbaut worden sein. „Beim Herbeischaffen des Bauholzes habe ein Riese einen ganzen Balken allein auf der Schulter herbeigetragen. Die Balken seien 5 und noch mehr Faden lang gewesen. Mit der einen Hand habe der Riese den Balken am oberen Ende gehalten, mit der anderen das Beil gehandhabt und den Balken behauen. Einmal seien sie während des Baues der Stadt an Tabak zu kurz gekommen. Da sei einer von ihnen zur Zeit der Mittagsruhe, die zwei Stunden gewährt habe, nach dem 7 Meilen (49 Werst) entfernten Flecken Zabeln gegangen. Nachdem der Riese dort den Tabak gekauft, habe er sich wieder auf den Rückweg gemacht, unterwegs hingelegt und eine ganze Stunde geschlafen. Als er darauf zu seinen Kameraden gekommen sei, hätten diese noch geschlafen: es waren noch keine zwei Stunden verflossen. Einmal sollen sich zwei Riesen beim Radtreiben (einem alten, beliebten Spiel der Landbewohner) entzweit haben. Der eine sei geflo­hen, aber mitten in der Windau vom andern erreicht worden.

Da habe nun ein fürchterlicher Ringkampf stattgefunden. Während des Kampfes hätten die beiden Riesen mit den Füßen

  1. Goldingen liegt an diesem aus Litauen kommenden Flusse, 20 Meilen von seinen Quellen entfernt. Die Steinbrücke ist ein bleibendes Denkmal ihres Erbauers, des ehemaligen kurländischen Gouverneurs Paul von Lilienfeld.
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Edgar Baumann: Im Gottesländchen. In Kommission bei Kluge und Ströhm [et al.], Reval [et al.] 1904, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:BaumannImGottesl%C3%A4ndchen.pdf/102&oldid=- (Version vom 21.8.2021)