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Nachrichten über die Ssuiten mitteilte. Früher habe jedes Gebiet seine besondere Tracht gehabt. Die „Willaine“ (Woll­tuch), die wir vom Priester erhalten, sei ein ganz neues, seit etwa 20 Jahren von den Turlauern[1] übernommenes Gewand­stück. Früher hätten die hiesigen Frauen weiß und schwarz gestreifte Wolltücher getragen, noch früher weiße mit grünblauen Verzierungen an den Rändern. Diese Tücher seien meist an Sonn- und Festtagen getragen worden, wobei eine „Ssakta" (Fibel, Spange, „Breze“) sie vorne zusammengehalten habe. Die Ssakten seien sehr verschieden gewesen, groß und klein, sowohl aus Messing als auch aus Silber, je nachdem, ob die Eigentümerin Wirtstochter oder einfacher Leute Kind gewesen. Manche Ssakten aus Silber, mit eichel­artigem Schmuck, roten und grünen Glasstückchen verziert hätten 10–14 Rubel gekostet. Solch eine Ssakta besaß z. B. die Tochter des Schullehrers.– Als wir diesen Besuch erledigt hatten, bestiegen wir den Kanonenberg am Teiche, der, seiner Form nach zu urteilen, früher eine Befestigung gewesen sein mußte. Oben wuchsen Fichten, die aber nur

eine mittlere Höhe erreichten. Ans dieser Tatsache haben

  1. Von diesen Turlauern' erzählte mir mein Führer, daß sie noch größere Sonderlinge als die Ssuiten seien. Bei ihnen sollen alle, Mann und Frau, klein und groß, rauchen. Bereits der kleinste Schweinehirt gehe mit einer großen Pfeife auf die Hütung und rauche wie ein Erwachsener. Wenn die Turlauer in der Kirche säßen, sollen sie gleich den Indianern die Friedenspfeife von einer Bank zur andern wandern lassen, und ein jeder müße sie der Reihe nach rauchen. Ihre Frauen sollen sich durch energisches und mannhaftes Betragen auszeichnen. Wenn sie in einen Krug oder eine Schenke kämen, nähmen sie einen Tisch für sich in Anspruch, ließen sich Bier und Branntwein vorsetzen, rauchten ihre Pfeifen an und schütteten alsdann einander ihr Herz aus. Nachher koste es den Männern Mühe, sie nach Hause zu bekommen.
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Edgar Baumann: Im Gottesländchen. In Kommission bei Kluge und Ströhm [et al.], Reval [et al.] 1904, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:BaumannImGottesl%C3%A4ndchen.pdf/113&oldid=- (Version vom 20.8.2021)