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beim Fliehen aufgetreten, um einen neuen Anlauf zu nehmen. Noch konnten wir diese Spuren unterscheiden, doch waren die Zehen schon ein wenig abgebröckelt. Am Fuße des Steines fanden wir saftige Erdbeeren und lieblich geformte, blaue Glockenblumen. Jenseit der Wiese zog sich beim Dubburgesinde eine bewaldete Anhöhe hin, wo es noch oft spuken soll, infolgedessen der Wald als verrufen gelte.

Wieder gingen wir über Wiese und Feld und durch jungen Laubwald weiter zum einige Werst entfernten am Fuße der Berge von Libaggen (oder Lipsthusen) gelegenen Aklasdorfe. Von den Libaggern erzählte mir K., daß sie gleich den Tscherkessen in Bergen wohnten und sehr mutig seien. (So z. B. sollen die Libagger Burschen zum Markte in Talsen, der am Dienstage und Freitage stattfinde, im Kampfe mit denen aus anderen Gegenden stets die Oberhand behalten.) Auch seien bei ihnen noch viele alte Sagen und Lieder im Schwange, die sich in alter Form und Weise erhalten hätten. Leider war es uns nicht vergönnt, länger am Orte zu verweilen, und außer einem Hüterjungen erblickten wir beim Passieren des Dorfes niemand. Der Junge hütete am Wege vor dem Dorfe Schweine und mußte zugleich Obacht auf seine kleinen Brüderlein geben, die in einem Wägelchen saßen und uns neugierig anguckten. Von ihm erfuhren wir die Namen der sich hinter dem Dorfe erhebenden Berghöhen: Kutzenkalns (Hundeberg), Wilkukalns (Wolfsberg), Moritzkalns, Uosuolkalns (Eichenberg) und Puhteljukalns. Auch die Namen der Gesinde im Dorfe fielen durch ihre Zusammenstellung auf: Brendjis (eine Nebenform von Laurentius ?), Tuoms (Thomas), Sniegs (Schnee), Wahziets (Deutscher), Wetzwaggars (Altwaggar[1]), Luig, Swiedris (Schwede). — Nach

  1. „Waggaris“ ist nach Ulmann ein ursprünglich livisches Wort und bezeichnet einen Dorfältesten oder Frohnvogt. Während der Leibeigenschaftszeit war der Wagger in Kurland „der Hauptaufseher über die Hofsarbeit“; in Livland hieß diese Persönlichkeit „Sstahrasts“ (vergl. das russische староста, Ältester).
Empfohlene Zitierweise:
Edgar Baumann: Im Gottesländchen. In Kommission bei Kluge und Ströhm [et al.], Reval [et al.] 1904, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:BaumannImGottesl%C3%A4ndchen.pdf/41&oldid=- (Version vom 12.12.2020)