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breiten, dunklen Bach überschreiten, der hier ins Meer floß. Weiterhin waren am Ufer Schutzwälle aus Sand und Strauchgeflecht errichtet, hinter denen meist die Kartoffel gebaut wurde. Diese Kartoffelfelder vor den Dünen bilden eine Eigentümlichkeit des Dondangenschen Strandes. Auf einem Dünenhügel lag recht nahe am Ufer ein einsames Fischergehöft. Als ich an die kleine Gartenumzäunung, hinter der ein paar dürstige Gewüchse tut sandigen Boden wurzelten, herantrat, bemerkte ich auf der kleinen Haustreppe ein Mädchen. Ich redete sie auf lettisch an, sie jedoch antwortete mir in einer fremden Sprache. Aus dem Worte „ei moista“, das ich von Dorpat (Jurjew) her kannte, schloß ich, daß sie finnischen Stammes sein müsse. Wie ich gleich darauf erfuhr, war sie von der Kurland schräg gegenüberliegenden Insel Osel, die zum estnischen Sprachgebiet gehört, herübergekommen, um sich hier eine Stelle zu suchen. Bei den schlichten Fischersleuten fand ich herzliche Aufnahme. In einem Zimmer, das zugleich Fremden-, Speise- und Schlafzimmer vorstellte, stand in der Ecke vor einem zum Teil mit Glas, zum Teil mit Brettern verdeckten zur See gehenden Fensterlein ein Tisch, wo dem fremden Gaste Milch, Grobbrot, Butter und Butten (Flundern [1]) vorgesetzt wurden, was ihm unter Gesprächen mit den freundlichen Menschen trefflich mundete. Nach Riga seien sie auch gefahren, und zwar zum Markte, um Fische zu verkaufen. Überall wohnen hier am Strande, mit Letten vermischt, Liven, die letzten Reste eines Volkes, das einst vor Jahrhunderten in der Geschichte unserer Heimat keine geringe Rolle gespielt und vielleicht die Urbevölkerung von Kur- und Livland gebildet hat. Bei Irben am Baltischen Meere haben sie sich zahlreicher und reiner erhalten. In Mellßillen sollen sie die Hälfte der Einwohner bilden.

  1. Die großen, fetten Dondangenschen Butten genossen früher einen weitverbreiteten Ruf.
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Edgar Baumann: Im Gottesländchen. In Kommission bei Kluge und Ströhm [et al.], Reval [et al.] 1904, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:BaumannImGottesl%C3%A4ndchen.pdf/54&oldid=- (Version vom 12.12.2020)