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Strömlinge[1]. — Unsern Rückweg nach Angern nahmen wir durch den Dünenwald, wo mehrere Bächlein quer über den Weg zum Meere flossen. In Angern war auch eine Seemannsschule. Hinter dieser, am Rande eines versumpften, von hohen Laubbäumen beschatteten Baches, erinnerten uns große Schutthaufen, die Abfälle eines ehemaligen Eisenhammers, an die Regierungszeit Herzog Jakobs. An einigen Stellen, wo sich Erdreich auf die Abfälle gelagert hatte, waren sie vom Grase überwuchert; andere Stellen jedoch lagen bloß, und dort konnte man die Schlacken sehen. Zwei schöne blau-grüne Stücke nahm ich zum Andenken mit. — In Angern hörte ich verschiedenes erzählen, das vom alten Volksaberglauben Zeugnis ablegte. Auffallend war manches davon. So z. B. glaubte das Volk, daß bisweilen der Tod eines Men­schen durch folgende Erscheinung angekündigt werde. Während die Angehörigen eines solchen, der bald darauf stirbt, spätabends im Zimmer beisammen sitzen, hören sie, daß jemand dreimal wie mit einer Gerte an die Fensterscheiben schlägt. So soll es hier vor dem Tode eines Wirtes beobachtet worden sein. Von einem ähnlichen Falle wurde mir später an einem andern Orte (bei Riga) berichtet. Da vor dem Fenster, gegen das die Schläge gerichtet wurden, gerade frischgefallener Schnee lag, wo keine Fußspuren zu sehen waren, so konnte für die Erscheinung keine Erklärung gefunden werden. Aus katholischen Zeiten stammt wohl noch die Sitte, die in Kurland verbreitet ist, über die Türpfosten oder auch an anderen Stellen eines Gebäudes mit Kreide drei Kreuze zu machen: dadurch wurden das Haus und seine Bewohner gegen böse Geister (oder Unglück) geschützt. — In Angern und Umgegend traf ich Leute an, die bei großer musikalischer Begabung das alte Volkslied und auch moderne Musik pflegten.[2]

  1. 1 Band — 30 Stück.
  2. Ich erkundigte mich hier nach der mitten im Rigaschen Meerbusen gelegenen kleinen Insel Runö, deren Lage und Bewohner (Schweden) mein Interesse geweckt hatten. Im September kämen die Runöer auch nach Angern zum Markte herüber, wobei sie mit Seehundsfellen und selbstverfertigten Kleidungsstücken, die sich durch Eigenart auszeichneten, Handel trieben. (Im Sommer 1899 war es mir vergönnt, mehrere Tage auf dieser merkwürdigen, früher zu Kurland gehörigen Insel zu verbringen, worüber ich in der Beilage zur Düna-Zeitung „Für Haus und Familie“, Jahrgang 1900, No.No.123, 129 und 135, unter „Runö“ Näheres berichtet habe).
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Edgar Baumann: Im Gottesländchen. In Kommission bei Kluge und Ströhm [et al.], Reval [et al.] 1904, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:BaumannImGottesl%C3%A4ndchen.pdf/74&oldid=- (Version vom 13.12.2020)