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Boot flußaufwärts. Die Abau war auch hier noch ein schö­ner windungsreicher Fluß. Überall wurde das hohe Ufer von Gebüsch bedeckt, das bis zur Flut herabreichte. Wir waren ein gutes Stück hinaufgefahren, da meinte der Bootsmann, daß es bis zur bekannten Marienhöhle nur noch 3 Werst seien. Kurz entschlossen bat ich, mich aussteigen zu lassen, da ich durchaus diesen merkwürdigen Ort aufsuchen wollte. Während die anderen mit dem Boote zurückfuhren, begab ich mich längs dem rechten Ufer der Abau zu den „Mahrjas Kambari“ (Marien Kammern). Lange hatte ich zu gehen, denn aus den 3 Werst wurden, wie es schien, doppelt so viel. Es hatte tagüber oft geregnet, jetzt brach die Sonne durch und beschien das liebliche Tal, über ihm einen doppelten Regenbogen bildend. Ein romantischer Reiz schien auf der Gegend zu liegen, wozu die Volkssage nicht wenig beitragen mochte. Hier sollte es gewesen sein, wo einst auf einem großen Fichtenbaume am hohen Ufer ein Drache gewohnt und Feuer in die Umge­gend gespieen habe, wodurch das fruchtbare Wiesenland in­mitten der Wälder, die früher das Tal bedeckt hätten, ent­standen sei. An einer Stelle auf dem Grunde des Flusses sei ein feuriges Rad zu sehen. Als nämlich (1727) Prinz Moritz von Sachsen über die Abau nach Usmaiten geflohen, sei seiner von sechs Pferden gezogenen Kutsche beim Passieren des Flusses ein Rad entfallen, das noch jetzt dort unten feurig leuchte. Längs Feldern und dem nassen Gebüsch, welches das Ufer säumte, ging ich rasch dahin. Bald erkundigte ich mich bei kornmähenden Landleuten, bald in einem Gesinde, wo mir ein lieblicher flachshaariger Knabe entgegenkam, nach dem weiteren Wege. Einmal lief ein Hase über den Pfad. Zuletzt erfuhr ich im Gesinde Strehlen, daß die folgende zum Flusse hinabreichende Waldspitze in nächster Nähe der Marien­höhle liege. Über nasse Wiesen und durch düsteres Gesträuch gelangte ich dorthin, suchte lange im Ufergebüsch, fand aber

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Edgar Baumann: Im Gottesländchen. In Kommission bei Kluge und Ströhm [et al.], Reval [et al.] 1904, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:BaumannImGottesl%C3%A4ndchen.pdf/90&oldid=- (Version vom 14.2.2021)