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Türe stehenden alten Frau trat, um mit in das Gesangbuch derselben zu sehen, ertönte ein eigentümliches Gesumme durch den wundersam erleuchteten Raum. Sein Blick gewahrte eine seltsam gekleidete Versammlung vieler ihm wohlbekannter Personen, von denen er jedoch wußte, daß sie bereits gestorben waren. Plötzlich winkte ihm die alte Frau, das Haus zu verlassen, und vor Angst eilte er ins Freie. Doch kaum war er hinausgetreten, so hörte er einen mächtigen Knall, das Licht erlosch und von der Domkirche ertönte die Mitternachtsstunde. In höchster Aufregung und vor Entsetzen zitternd berichtete er dem das Tor öffnenden Stadtsoldaten die schaurige Kunde.

25. Die Goldquelle.

Ein ehrbarer Bürger der Stadt Budissin kam am Pfingstsonnabend 1702 von einer lustigen Landpartie stark berauscht zurück. Statt in seine Wohnung geriet er in die Ruine der Nikolaikirche, wo er sich auf dem früheren Altarplatze in das Gras legte und einschlief. Als er in finsterer Nacht erwachte, gewahrte er dicht neben sich ein helles Licht, sah einen festlich geschmückten Altar und ein erleuchtetes Altarbild. An den Stufen des Altars aber quoll es hervor, wie ein Springquell, von Gold- und Silbermünzen. Ein tönerner Krug stand in der Nähe der Stufen. Da füllte er das Gefäß bis an den Rand mit Münzen, steckte sich Taschen, Hut und Halskrause voll und ging nüchterner als er gekommen nach Hause. Ob ihm das Geld zum Segen gereichte, berichtet die Sage nicht. Die Goldstücke waren größtenteils aus der Zeit der Könige Maximilian und Mathias.

26. Blutende Leiche verrät einen Mörder.

Im Jahre 1500 ermordete ein Kantor in Budissin seine Schwiegermutter und warf sie darauf in den Wassertrog, um den Anschein zu erwecken, als habe sie sich selbst ertränkt. Fast schien es, als sollte die Tat unentdeckt bleiben. Doch als der Schinder die Leiche angriff, um sie auf den Schindanger zu fahren, fingen die Wunden derselben, die man vorher nicht gefunden hatte, heftig an zu bluten. Darauf wurde der Kantor, auf den man Verdacht hatte, eingezogen, und nachdem er dem Ratsherrn Hieronymus Ruprecht ein umfassendes Geständnis abgelegt, auf den Richtplatz geschleift und auf das Rad gelegt.

27. Scharfrichter Hermann in Budissin.

Als zu demselben einst eine Frau kam, bewegte sich plötzlich von selber das große Richtschwert, welches über der Türpfoste hing, und schlug klirrend an. Die Frau erschrak sehr darüber, umsomehr, als ihr der Scharfrichter nach langem Bitten mit ernster Miene erklärte: „Das Klirren des Richtschwertes bedeutet, daß das Kind, welches du bekommen wirst, einst durch dasselbe sterben wird.” Auf die Bitten der bestürzten Frau, den Zauber abzuwenden, ließ sich der Scharfrichter später das Kind einmal bringen und ritzte mit der Spitze des Schwertes kreuzweise die Fußsohlen, bis je ein Tröpfchen Blut herausrann. Dadurch wurde der Zauber behoben. Das Kindlein wurde ein braver Mensch und starb in hohem Alter eines natürlichen Todes.

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: Bautzener Sagen. Verlag Johannes Vieweg, Leipzig 1924, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bautzener_Sagen.pdf/12&oldid=- (Version vom 1.10.2023)