Seite:Bechstein Thüringische Volksmährchen 1823.pdf/23

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sey willkommen; nun kann Dir ganz vertrauen die liebende Jungfrau. – Was Du hier siehst, fuhr sie fort, diese Wiesen; die Quelle hier und dort der Murmelbach, der Schattenhain mit seinen heitern Sängern, sind alle mein und meinem Willen gehorsam. Mich grüßen die Sänger des Waldes, wenn Aurora in meiner Quelle sich spiegelt, die Blumen neigen ihr Haupt vor mir und bieten sich wetteifernd dar zu Kränzen für mich; mir trägt der Zephyr Melodien zu – ich bin die Quellenkönigin Selinde. O staune nicht, mein Alfred, bat sie schmeichelnd den fast erschrocknen Ritter: Was ist Leben, was ist der Herrscher süßgeträumtes Glück, wenn nicht die Liebe es verherrlichet und mit ihren glühenden Farben einer ewigen Sonne gleich, durchstrahlt? Nur Liebe empfinden, und sie erwiedern, ist die höchste Seligkeit; wem Liebe und Treue ihre Rosenkronen flechten, dem wird zum flüchtigen Augenblick die Stunde, dem strahlt der Aether himmlisch rein, dem wiegen lächelnde Genien in entzückende Träume. – So sprach sie und streichelte ihm die Wangen und blickte ihn mit den blauen feuchten Augen schmachtend an.

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Ludwig Bechstein: Thüringische Volksmährchen. Carl Fleck und Comp., Sondershausen 1823, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bechstein_Th%C3%BCringische_Volksm%C3%A4hrchen_1823.pdf/23&oldid=- (Version vom 31.7.2018)