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[No 20. Den 7. September 1838.]

An Hrn. O. in Hamburg,
betreffend Beethoven’s neunte Symphonie.

Als ich das mit O. unterzeichnete offene Sendschreiben an mich, betreffend die neunte Beethoven’sche Symphonie las, konnte ich mich zuerst des Lächelns nicht erwehren bei dem Gedanken: für welchen Philister hält dich vielleicht der geehrte Briefsteller! und wahrlich, ich muß noch lächeln. – Nun, ich habe das Schreiben von Anfang bis Ende mehrmals gelesen, und was ich im [/] Voraus vermuthete, darin gefunden: eine Phantasie, welche sich allerdings von den vielen Phantasieen über diese Symphonie dadurch unterscheidet, daß sie in die Noten geblickt (freilich nicht mit dem ruhigen Blicke des Untersuchers und Selbstschaffers, sondern mit dem trunkenen des begeisterten Liebhabers) und diese zum Vorwande nimmt. Und doch, achtungswürdiger Herr, ist nicht Phantasie genug in Ihrer Phantasie. Betrachten Sie nur das Thema des ersten Satzes der Symphonie genauer: welche Welt von Schicksalen liegt darin! Das Zaudernde des ersten Tactes, das immer rascher Fortstürzende des zweiten, das An’s-Ziel-gelangen und Sichlosreißen des dritten, der Trotz des vierten! – Warum haben Sie mich darauf nicht aufmerksam gemacht? und es ist doch alles Wahrheit. – Aber freilich, alles was der Genius Gelungenes geschafft, übt einen solchen Zauber aus, daß es der geistvollsten Auslegung fähig. Nur das Eine hätte ich gebeten, geehrter Herr, sich streng an meine Worte zu halten, und nichts von Riesigem, Ungeheurem, Thränenschwerem und dieselben hineinzulegen, wenn sie es nicht selbst sagen (allerdings bin ich damit zu karg gewesen; erhaben Stürmendes und tief Rührendes wechseln auf erschütternde Weise in diesem ersten Satze; ich wollte aber auch gar kein poetisches Bild, sondern nur eines des musikalischen Zusammenhanges geben;), auch nicht zu glauben, als hielte ich das Thema für ungeeignet; nein, es ist nur blos nicht reich genug zu mannigfaltiger, verschiedenartig wechselnder Erfindung. Indem ich Ihnen nun aber danke für die Aufmerksamkeit, die Sie, der Sache willen, meinem Aufsatze geschenkt, möchte ich fragen: wozu dies alles? Wäre es nicht das allereinfachste, wenn Sie sich mit kurzen Worten gegen meine Ansichten verwahren (und Sie werden hoffentlich darin noch viele Anhänger finden) und Alles, was ich für trefflich, für ungeheuer, was ich für weniger interessant, für wunderbar erklärten? In der That, ja! Sie bewundern Alles. Mein Aufsatz hat eine innere Nothwendigkeit des Daseins, weil er, hervorgerufen durch die streitenden Meinungen, eine Analysis des in Rede stehenden Werkes enthält; mein allgemeines Urtheil betrachte ich als nothwendige Zugabe; ob Jemand in dasselbe mit einstimmt, ist an sich ganz gleichgültig; meine Auseinandersetzung ist aber ein Führer für den, welcher in dieses geheimnißvolle Symphoniewunder (mit den Enthusiasten zu sprechen) eindringen will. Was Sie mir, gleichsam als hätte ich es übergangen, etwa nachträglich nachweisen, ist ja aber nur wieder das unverhüllte Thema, dessen kleine, unbedeutende, nicht erfindungs-, aber empfindungsvolle und wirksame Veränderung Ihnen bewundernswerth scheint, während ich es blos mit Theilnahme anhöre, und den himmelweiten Unterschied zwischen eigentlicher Erfindung und Effectspiel darüber nicht aus den Augen verliere.