Seite:Bemerkungen zum Prinzip der Aktion und Reaktion.djvu/3

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Von dem geschilderten Standpunkte aus kann das Prinzip der Gleichheit von Aktion und Reaktion ganz allgemein als der „Trägheitssatz der Energie“ bezeichnet werden.

Wir können aber noch einen Schritt weitergehen. Wie die Konstanz der Energie den Begriff der Energieströmung, so zieht notwendig auch die Konstanz der Bewegungsgröße den Begriff der „Strömung der Bewegungsgröße“, oder kürzer gesprochen: der „Impulsströmung“ nach sich. Denn die in einem bestimmten Raum befindliche Bewegungsgröße kann sich nur durch äußere Wirkungen, also nach der Theorie der Nahewirkung nur durch Vorgänge an der Oberfläche des Raumes ändern, also ist der Betrag der Änderung in der Zeiteinheit ein Oberflächenintegral, welches als die gesamte Impulsströmung in das Innere des Raumes hinein bezeichnet werden kann. Ein wesentlicher Unterschied aber gegenüber der Energieströmung liegt darin, daß die Energie ein Skalar, die Bewegungsgröße dagegen ein Vektor ist. Daher wird die in einen Raum einströmende Energie durch ein einziges Oberflächenintegral ausgedrückt, und die Energieströmung ist ein Vektor. Dagegen wird die in einen Raum einströmende Bewegungsgröße durch drei Oberflächenintegrale ausgedrückt, entsprechend den drei Komponenten der Bewegungsgröße, und die Impulsströmung an einem Orte ist ein Tensortripel, in der Bezeichnungsweise von W. Voigt[1], charakterisiert durch sechs Komponenten.

Um eine Vorstellung von der Bedeutung dieses Tensortripels zu gewinnen, betrachten wir zuerst die mechanische Bewegungsgröße und die ihr entsprechende mechanische Impulsströmung. Der gesamte Impulsstrom in das Innere eines Raumes hinein, also die Zunahme der im Innern befindlichen Bewegungsgröße pro Zeiteinheit, ist gleich der resultierenden mechanischen Kraft, welche auf die gesamte in dem Raume befindliche Masse wirkt. Folglich ist die Impulsströmung durch ein Oberflächenelement nichts anderes als der mechanische Druck auf das Oberflächenelement, und die Komponenten desselben von der Form:

,

wenn die innere Normale des Oberflächenelementes bezeichnet. , , , , , sind die sechs Komponenten des Tensortripels, welches den Impulsstrom darstellt.

Ganz ebenso verhält es sich mit der elektromagnetischen Impulsströmung im Vakuum. Die Komponenten dieses Tensortripels sind nichts anderes als die bekannten Maxwellschen Spannungen. Ihre Integration über eine geschlossene Oberfläche liefert den gesamten Impulsstrom in das Innere und somit die Zunahme der im eingeschlossenen Raume enthaltenen gesamten mechanischen und elektromagnetischen Bewegungsgröße. Es ist bemerkenswert, wie durch diesen Satz die Maxwellschen Spannungen auch für die Theorie des ruhenden Äthers eine physikalische Bedeutung gewinnen. Denn als Druckkraft haben diese Spannungen in dieser Theorie keinen rechten Sinn, da man doch einer Kraft, die auf etwas absolut Unbewegliches wirkt, nicht wohl eine Bedeutung beimessen kann[2]. Daß die Maxwellschen Spannungen sich dennoch, trotzdem sie sozusagen offiziell abgeschafft waren, in der Theorie des ruhenden Äthers behauptet haben, indem sie sich eben für gewisse Rechnungen häufig als bequemes mathematisches Hilfsmittel erwiesen, konnte schon den Gedanken nahelegen, daß ihnen doch irgendeine besondere physikalische Rolle zufällt, durch die sie auch für den ruhenden Äther legitimiert werden.

Es liegt nahe, den Begriff der Impulsströmung auch auf das Gravitationsfeld zu übertragen, wobei sich, abgesehen von dem fatalen Vorzeichen, eine bemerkenswerte Anzahl von Analogien ergeben; doch würde eine nähere Erörterung dieses Problems hier zu weit führen.

Diskussion.

Minkowski: Die Sätze über die Bewegungsgröße sind meiner Ansicht nach unmittelbar aus dem Energiesatze zu gewinnen. Nämlich der Energiesatz hängt in der Lorentzschen Theorie von dem Bezugssystem für Raum und Zeit ab. Schreibt man den Energiesatz für jedes mögliche Bezugssystem auf, so hat man mehrere Gleichungen, und in diesen sind die Sätze über die Bewegungsgröße mit enthalten.

Planck: Gewiß. Aber ich betrachte die Unabhängigkeit vom Bezugssystem nicht als ein festes physikalisches Ergebnis, sondern mehr als eine Hypothese, die ich allerdings für aussichtsreich halte, aber noch keineswegs für erwiesen. Es ist eben noch zu prüfen, ob diese Beziehungen auch wirklich in der Natur vorhanden sind. Das können wir nur auf experimentellem Wege erfahren, und hoffentlich ist die Zeit nicht mehr fern, wo wir es erfahren.

(Eingegangen 9. Oktober 1908.)

  1. Vgl. M. Abraham, Enzyklopädie d. math. Wiss. IV, 14, S. 28.
  2. Vgl. H. A. Lorentz, Versuch einer Theorie der elektrischen und optischen Erscheinungen, S. 28. Leiden 1895.