Seite:Beschreibung des Oberamts Kuenzelsau II 776.jpg

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Am Nordthurm sieht man in der Höhe Abt Knüttels Lieblingshirsche und seinen Pudelhund, die ihn eines Tages beim Bau der Kirche auf das hohe Gerüst bis zum Dachstuhl begleiteten, in Stein verewigt, sowie die Inschriften:

Ein groß paar Hirsch sammt einem Hund
Nebst ihrem Herrn frisch und gesund
Auf diesem Platz vor Zeiten stund.
Mit Wahrheitsgrund
Sei dieses kund.


Huc olim geminos vidi conscendere cervos
Cum cane et ejus hero, monumento credite vero.

Betreten wir nun das Innere durch das Hauptportal. Als ein Werk aus einem Gusse, beherrscht von einem hohen künstlerischen Gedanken, ergreift es uns. Die Vertheilung der Hauptmasse ist klar und schön, die Nebenräume und Nebengänge ordnen sich gefällig ein, die Verhältnisse sind schlank und die Farben von einer milden heitern Heiligkeit.

Die kolossalen viereckigen Pfeiler haben stark ausladende korinthische Kapitäle und darüber ein Gebälk. An den Wänden ziehen sich ringsum bis an den Chor, sehr geschickt eingefügt, ähnlich wie in der Neresheimer Kirche, Galerien hinter den den Pfeilern entsprechenden Pilastern hin. Die Kuppeln sind reich bedeckt mit Malereien und Stuckaturen, die Hauptkuppel, über der Vierung, steigt hochauf achteckig, auf den vier großen Halbkreisbogen ruhend, sie wird durch Pilaster gegliedert und ist, wie die anderen, reich mit Malereien und Stuckaturen belebt. Die beiden Seitenschiffe endigen neben dem Chor mit zwei Seitenkapellen.

Querschiff und Chor werden vom vorderen Raum durch ein prächtig gearbeitetes schmiedeisernes, 4 m hohes Gitter abgeschlossen. Es trägt die Jahreszahlen 1727 und 1728, sowie das Wappen von Schönthal und Abt Knüttel. Schöne in Holz geschnitzte Chorstühle stehen zu beiden Seiten des Chors und links auf der Empore eine im zierlichsten Rococostil gefaßte Orgel; sie soll aus Stuttgart oder Ludwigsburg als Ersatz für die fortgeführte große Orgel, die sich jetzt in Rottenburg befindet, gekommen sein. Eine beachtenswerthe Eisenarbeit ist auch das 30 Pfund schwere Schloß der Thüre des Hauptportals mit der Jahreszahl 1689. Wo früher im Chor der Thron des Abtes mit Baldachin war, ist eine einfache Kanzel angebracht

Empfohlene Zitierweise:
Julius Hartmann und Eduard Paulus der Jüngere: Beschreibung des Oberamts Künzelsau. Kohlhammer, Stuttgart 1883, Seite 776. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Beschreibung_des_Oberamts_Kuenzelsau_II_776.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)