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rheinfränkische Element mit seinem Einfluß sich geltend macht und z. B. in Oberkessach in der Sprache und der ganzen Art der Leute sich offenbart. Der Nordwesten des Bezirks theilt den Charakter des Neckarsulmer Bezirks. Seines fränkischen Stammes und des Unterschieds von den Schwaben ist sich der Evangelische wie der Katholik bewußt. In den Liedern der katholischen Kirche kehrt der „edle“ Franke nicht selten wieder.

Untersetzt und dunkelhaarig, ist der Franke im Auftreten und den Bewegungen nicht so schwerfällig wie die Schwaben, seine Bewegungen sind gelenker, sein Tritt leichter, aber seine ganze Konstitution weniger kräftig. Sein Selbstbewußtsein und sein Ehrgefühl ist bestimmt durch ein angebornes Gefühl für Maß und Form, das ihn auch in „beweintem“ Zustand nicht leicht verläßt. Seine Lebensweise faßt sich zusammen im Wort des griechischen Weisen: Nicht zu viel. Daher finden sich bei aller Empfindlichkeit des Selbst- und Ehrgefühls besonders beim Ostfranken nicht leicht die wilden Ausbrüche der Leidenschaft und der innern Erregung, die sich in wüstem sinnlosen Fluchen Luft machen. Aufgeweckt, gelehrig und empfänglich, richtet er sein geistiges Streben mehr auf das Gegebene und Reale. Da ist nicht jenes tiefbohrende Eindringen, das auf den letzten Grund der Dinge gehen und zu den höchsten Höhen menschlichen Wissens und Ahnens sich aufschwingen will. Sind die Schwaben das Volk der Dichter, Denker und Mystiker, so weist die gelehrte Geschichte Frankens seit der Staufenzeit keinen bedeutenden Dichter, keine Philosophen auf (Mehring ist thüringischen Stammes), dagegen Juristen, Mathematiker, Historiker, Sprachgelehrte, Techniker und tüchtige Verwaltungsmänner; die bedeutendsten fränkischen Theologen sind Kirchenhistoriker und Exegeten, aber nicht Dogmatiker. Der Franke ist religiös, aber seine Religiosität ist Kirchlichkeit. Der Mystik des Pietismus in Schwaben steht hier die Macht der kirchlichen Sitte gegenüber. Kein Sonntag ohne Gottesdienst! Hausandacht, Tischgebet, zweimaliger Abendmahlbesuch, den der Bauer auch von seinen Ehehalten fordert, haben sich treu erhalten. Der Sektirerei ist der Bezirk abhold, das Auftreten des Methodismus in Künzelsau und Umgegend eine vereinzelte Erscheinung. Die religiösen und konfessionellen Unterschiede stören den Frieden in den paritätischen Gemeinden nicht. Fleiß, Arbeitsamkeit und Sparsamkeit sind anzuerkennen, aber jene verzehrende, alle Kräfte anspannende Anstrengung des „hartschaffenden“ Volkes in Schwaben kennt der Franke nicht, außer etwa der arme Häcker des untern Kocherthals, der kümmerlich sein Brot dem weniglohnenden Weinbau abringt.

Die Gemüthsanlage der Franken ist weich und heiter. Mitleidig gegen das Unglück, auch gegen das selbstverschuldete, mildthätig und freigebig gegen die Armut, leicht durch augenblickliche Eindrücke von Freud und Leid hingenommen, so daß das „Vergreinen“ der Todten auch bei minder traurigen Todesfällen nicht blose Ostentation ist, schüchtern auf den einsamen Weilern und Höfen, liebt er in Mußestunden heitere Geselligkeit. Daher geht der Franke an stillen Winterabenden „ins Dorf“, am Sonntag Mittag auf ein Stündchen ins Wirthshaus. Da sitzen die Mannen ruhig und gesittet die Kappe

Empfohlene Zitierweise:
Julius Hartmann und Eduard Paulus der Jüngere: Beschreibung des Oberamts Künzelsau. Kohlhammer, Stuttgart 1883, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Beschreibung_des_Oberamts_Kuenzelsau_I_115.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)