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auf dem Kopf hinter dem Glase, man liest das Blêtle, redet von Handel und Wandel und den Angelegenheiten des Ortes. In der Gesellschaft liebt der Franke Gesang, harmlose Scherze und kleine Neckereien, besonders macht man sich in den Weinorten über die Nachbarorte in harmloser Weise lustig. Wie im weinreichen Remsthal, hat jeder Weinort seinen besondern Namen. Solche Scherze, Ausdrücke heiterer Gutmüthigkeit und der Weinlaune, finden sich bei der verkehrsarmen, ackerbautreibenden Bevölkerung der Hochebene weniger.

Im politischen Leben zeigt sich der Franke national und gut württembergisch. Von Hause aus konservativ in seiner Anschauung und seinem Leben, liebt der Franke die Opposition bis auf einen gewissen Grad. Selbst redegewandt, läßt er sich von keiner Partei durch einen Bruder Redner auf die Dauer fesseln, er hält mehr auf Thaten und Thatsachen, auf persönliches Auftreten und Haltung. Bei der geistigen Beweglichkeit der Franken einer- und der Kleinheit und Abgeschlossenheit der Wohnsitze andererseits können starke Sprünge und unvermittelte Übergänge in ihrer politischen Haltung nicht überraschen.

Die Bezirksobrigkeit findet unter Berücksichtigung der Eigenthümlichkeit fränkischer Art Gehorsam und Respekt. Eine starke Hand im sammetenen Handschuh weiß die Franken am besten zu lenken.

Die friedliche Gesinnung wird allgemein gerühmt. Kleinlichzähe Prozeßsucht an einzelnen Orten sind rein lokale Erscheinungen. Getreue Nachbarn gehören beim Franken wirklich zum „täglichen Brot“. Die Nachbarn heißen Vetter und Bäsle. Der wohlhabendste Bauer schämt sich nicht, dem geringsten Nachbarn Dienste zu leisten; das Leichenbegängniß des Nachbars zu bestellen, bei Hochzeiten und Bauten mit dem Fuhrwerk auszuhelfen ist Ehrensache. (Des mog mer schoun net howan, dass mer am was noch soget.) Im Umgang mit Gleichaltrigen herrscht das alte trauliche Du, bei größerem Unterschied von Alter und Stand Ihr, gegenüber dem Pfarrer, der „Herrpfarrere“ (gotan obed herr pfarrere bei alten Leuten), wie dem Lehrer das moderne Sie (in Künzelsau seit 1680 allmählich eingedrungen).

Die Ehen sind, obwohl bei ihrer Schließung Geld und Stand bestimmend sind, dennoch friedlich. Ehedissidien, weil selten, erregen großes Ärgerniß. Jene Poesie des Eheglücks, den Duft der Liebe vertritt die – man mag sagen – prosaische, aber mächtige Nüchternheit der ehrbaren Sitte und Zucht, gegründet auf gegenseitige Achtung. Den Beweis liefern die Umgangsformen. (Anrede: Bauer, Bäurin; mein Bauer, mein Wirth, bei geringeren Leuten: Maun, Fra, der Strecker, der Schmid, der Schäfer).

Auf seine Kinder hält der Franke viel. Wer sein Herz gewinnen will, darf nur seine Kinder bewundern; „des is awwer a rechter Knêcht. Des ist a Mâd (Magd)“ ist ein Lob für seine Borsch oder Kerlich, das sein Herz entzückt. Tadel der Kinder in der Schule wirkt ebenso auf die Elternliebe, wie auf das empfindliche Ehrgefühl, erleichtert aber die sparsame Anwendung körperlicher Züchtigung. Gegenüber den ältern Kindern wird die Elternliebe leicht zu schwach und nachsichtig, besonders gegenüber der Geselligkeit im Wirthshaus und im „Vorsetz“, wie auch bei geschlechtlichen Ausschreitungen. „As (etc. ein Kind) koun mer amm for guət howən“, tröstet sich der Vater leicht, nachdem er zuvor „arg gehaust“ hatte mit dem Schuldigen.

Empfohlene Zitierweise:
Julius Hartmann und Eduard Paulus der Jüngere: Beschreibung des Oberamts Künzelsau. Kohlhammer, Stuttgart 1883, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Beschreibung_des_Oberamts_Kuenzelsau_I_116.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)