Seite:Beschreibung des Oberamts Kuenzelsau I 167.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

so, daß die Trauben in Gölten getreten, der Troß in großen Kufen angesammelt und nach kurzer Zeit abgelassen und ausgepreßt wird, so daß der Saft nur einen oder einige Tage an den Trebern steht. Die Kufen sind gewöhnlich ohne Senkboden. Es giebt auch Weingärtner, welche die Traubenraspel anwenden und die Kämme entfernen, aber ihre Zahl ist nicht groß. Das Auspressen geschieht in öffentlichen Keltern. Diese Keltern waren früher Eigenthum der Fürsten, weil an dieselben der Weinzehnten abgeliefert werden mußte, der in den Keltern erhoben wurde. Der Zehntwein wurde in größeren Keltern, Fürstenkellern, aufbewahrt. Mit der Ablösung des Weinzehnten anno 1848 gieng das Eigenthumsrecht der Keltern nicht an die Gemeinden sondern an die Weinbergbesitzer über. Diese haben in den betreffenden Weinorten das Gebäude und Inventar zu unterhalten, die sonstigen Auslagen der Keltereinrichtung und des Kelterns zu leisten und für Ordnung beim Keltern zu sorgen. Ein von den Weinbergbesitzern gewähltes Mitglied besorgt die Rechengeschäfte, denn die Kelterrechnung wird unabhängig von der Gemeinderechnung geführt. Das balde Auspressen, das zum Theil nöthig ist wegen der Aufeinanderfolge der Leser, die in mehrere Gruppen getheilt sind wegen der Hindernisse in den Weinbergwegen, zum Theil wegen der Benützung der Kufen, deren Zahl geringer ist als die der Weinbergbesitzer, hat den Nachtheil, daß der Wein wenig Gerbsäure in sich aufnehmen kann. Der weiße Kocherwein ist deshalb nicht sehr haltbar, er wird am liebsten im ersten Jahre verbraucht, wo er bis zur nächsten Weinernte, also ein ganzes Jahr lang den Namen „Most“ führt. Es gibt dies keine Verwechslung mit dem Obstmost, da in den Wirthshäusern des Bezirks der Obstmost nur selten zum Ausschank kommt. Verlangt der Fremde, der aus einer Gegend kommt, in der der Obstmost unter dem Namen Most ausgeschenkt wird, im Bezirk Künzelsau in einem Wirthshaus ein Glas Most, so erhält er ein Glas neuen Wein. Damit ist aber nicht gesagt, daß der weiße Wein des Kocher- und Jagstthales überhaupt nicht haltbar sei. In guten Jahrgängen, bei richtiger Behandlung im Keltern, bei fleißigem Ablassen, in kühlen Kellern liefert der Weinstock ein Produkt, das an Feinheit, Güte und auch Haltbarkeit nichts zu wünschen übrig läßt. Es sind deshalb die Kocher- und Jagstweine in guten Jahren sehr gesucht, und es wetteifern in solchen Jahren die Weine der Seitenthäler mit denen der Hauptthäler an Güte.

Empfohlene Zitierweise:
Julius Hartmann und Eduard Paulus der Jüngere: Beschreibung des Oberamts Künzelsau. Kohlhammer, Stuttgart 1883, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Beschreibung_des_Oberamts_Kuenzelsau_I_167.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)