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Jeremias Gotthelf: Die schwarze Spinne. In: Bilder und Sagen aus der Schweiz, Band 1

sie das Kindlein geraubet. Ihren eigenen Mann hatte sie auf einsamer Weide angefallen; dort fand man seinen Leichnam gräßlich zugerichtet, wie keinen andern, seine Züge zerrissen in unaussprechlichem Schmerze; an ihm hatte sie ihren gräßlichsten Zorn ausgelassen, das gräßlichste Wiedersehen dem Ehemanne bereitet. Aber wie es zuging, hat Niemand gesehen.

Zum Hause war sie noch nicht gekommen; ob sie es bis zuletzt sparen wollte, oder ob sie sich scheute davor, das errieth man nicht.

Aber nicht weniger als an andern Orten war die Angst dort eingekehrt.

Das fromme Weibchen war genesen, und es zagte nicht für sich, aber fast sehr um sein treues Bübchen und dessen Schwesterchen, und wachte über sie Tag und Nacht, und die treue Großmutter theilte ihre Sorgen und Wachen. Und gemeinsam beteten sie zu Gott, daß er ihnen ihre Augen offen halten möchte zur Wache, daß er sie erleuchten und stärken möchte zur Rettung der unschuldigen Kindlein.

Oft war es ihnen, wenn sie wachten lange Nächte durch, als sehen sie die Spinne glimmen und glitzern im dunkeln Winkel, als glotze sie zum Fenster hinein, dann ward ihre Angst groß, denn sie wußten keinen Rath, wie vor der Spinne die Kindlein schützen, und um so brünstiger baten sie Gott um seinen Rath und Beistand. Sie hatten allerlei Waffen zur Hand gelegt, aber wie sie hörten, daß der Stein seine Schwere, das Beil seine Schärfe verliere, sie wieder bei Seite gelegt. Da kam es der Mutter immer deutlicher vor, immer lebendiger in den Sinn: wenn Jemand es wagen würde, die Spinne mit der Hand zu fassen, so vermöchte man sie zu überwältigen. Sie hörte auch von

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Jeremias Gotthelf: Die schwarze Spinne. In: Bilder und Sagen aus der Schweiz, Band 1. Jent & Gaßmann, Solothurn 1842, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bilder_und_Sagen_aus_der_Schweiz_I.pdf/86&oldid=- (Version vom 31.7.2018)