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Emil Hübner: Bildnis einer Römerin, Marmorbüste des Britischen Museums (die sogenannte Clytia)

aufzuweisen, die sich dazu eignen, mit großem Nachdruck als nicht ‚antik‘ proclamiert zu werden. Allein sobald von den Vertheidigern der Aechtheit an die Leugner derselben das Ansinnen gestellt wird, den vagen Ausdruck ‚modern‘ näher zu präcisieren, zeigt sich die Schwierigkeit, jene Ansicht zu begründen. Es ist meines Wissens kein Versuch irgend welcher Art gemacht worden, wie er von denen, welche den modernen Ursprung behaupten, unzweifelhaft verlangt werden kann, das Werk einer bestimmten Zeit oder Schule, geschweige denn einem bestimmten Meister zuzuweisen. Da es vor dem Jahre 1772 entstanden sein muss, so ist man ausschließlich angewiesen, angesichts der hohen technischen Vollendung der Marmorarbeit, welche Niemand leugnet, auf die Zeit der sogenannten Renaissance und ihre Nachwirkungen bis etwa an das Ende des siebzehnten Jahrhunderts; also, um bei den italienischen Meistern zu bleiben, wie durch die Herkunft des Kopfes angezeigt ist, auf Rafael und Michel Angelo und ihre Nachfolger bis herab auf Bernini. Es dürfte schwer halten aus dieser ganzen Zeit einen Meister oder auch nur eine Schule namhaft zu machen, welcher die Clytiabüste (wie wir sie der Kürze wegen öfter zu nennen genöthigt sein werden) mit irgend welcher Wahrscheinlichkeit zugeschrieben werden könnte. Aber es bedarf dieses unmöglichen Versuches überhaupt nicht; denn der antike Ursprung der Büste, wie ihn die Ueberschrift dieser Abhandlung voraussetzt, lässt sich meines Erachtens mit derjenigen Bestimmtheit erweisen, welche in solchen Fragen überhaupt erreicht werden kann[1].

Die auf Tafel 1 und 2 gegebenen Abbildungen sind nach den sehr gelungenen Zeichnungen des hiesigen Malers Paul hergestellt worden; freilich geht ja in der Regel durch die Uebertragung auf den Stein von den Vorzügen der Zeichnung viel verloren. Der Profilansicht auf Tafel 2 liegt eine in dem hiesigen Atelier des Herrn Stolt nach dem Gipsabguss gefertigte Photographie zu Grunde; die Vorderansicht ist nach dem Gips gezeichnet. Beide Zeichnungen sind von mir in London mit dem Original sorgfältig, und zwar in Hrn. Newtons Gegenwart, verglichen worden; so dass wenigstens für ihre Treue eingestanden werden kann. Den vollen Eindruck des Originals würde freilich nur ein in der Weise der englischen Prachtwerke (wie der specimens of ancient sculpture) völlig ausgeführter Stich wiedergeben können; immer aber bietet der mit jeder Beleuchtung wechselnde Ausdruck der weichen Formen des Frauengesichts der Wiedergabe große Schwierigkeiten. Allein auch denen, welchen Gipsabgüsse und Photographieen nicht zu Gebote stehen, werden


  1. Diesen Nachweis zu führen ist nicht ganz überflüssig, da noch im Jahre 1867 die Mehrzahl der auf der Philologenversammlung zu Halle in der archäologischen Section vereinten Philologen, Schulmänner und Archäologen sich für den modernen Ursprung ausgesprochen hat; siehe die Berichte über die Verhandlungen der hallischen Philologenversammlung S. 163.
Empfohlene Zitierweise:
Emil Hübner: Bildnis einer Römerin, Marmorbüste des Britischen Museums (die sogenannte Clytia). Berlin: W. Hertz, 1873, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bildnis_einer_R%C3%B6merin_05.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)