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Emil Hübner: Bildnis einer Römerin, Marmorbüste des Britischen Museums (die sogenannte Clytia)

halbem Leib hervorragend, oder den Ampelos aus dem Stamm des Weinstocks hervorwachsend[1], so mochte sie mit solchen Versuchen an jene Kelchgestalten anknüpfen, so verschieden dieselben auch sind.

Aus dem Besitz des Hrn. Alexander Castellani zu Neapel ist in das brittische Museum gelangt eine 9 Zoll hohe Terracottabüste, welche in einem Grab bei Canosa gefunden worden ist zugleich mit bemalten Vasen späterer Fabrik. Es ist ein bekränzter weiblicher Kopf, mit lockigem Haar, der aus einem Akanthoskranz herauswächst. Schon im Jahre 1867 machte mich Newton auf seine Aehnlichkeit mit dem Clytiakopf aufmerksam, welche dann auch Helbig bemerkte[2]. Er erscheint auf Taf. III Fig. 6 nach einer Zeichnung, welche ich wiederum Murray verdanke, zum ersten Mal abgebildet.

Unter den bemalten Terracotten von ziemlich roher Fabrik, welche in manchen Theilen Frankreichs, besonders im Bourbonnais, gefunden werden, ist ebenfalls eine weibliche Büste mit Blätterfuß[3].

Stackelberg (an der oben S. 17 Anm. 1 angeführten Stelle seines Werkes, an der er das attische Akoterion publiciert), spricht von einem zu ‚Alexandria in Aegypten gefundenen kleinen Thonbild seiner Sammlung, die den Horus säugende Manenkönigin Isis mit dem Kopfputz von Federn, Mondscheibe und Rosenblättern darstellend, wie sie aus einem Akanthosknauf erst zur Hälfte wieder aufgesprossen ist‘. Sollte sich unter den ägyptischen Arbeiten der Ptolemäerzeit das Motiv des Blätterkelchs häufig finden, worüber die Aegyptologen werden Aufschluss geben können, so würde man eine Uebertragung desselben auf die griechische Kunst jener Zeit von dorther nicht ohne einige Wahrscheinlichkeit vermuthen dürfen. Allein der oben entwickelte Anschluss an das korinthische Capitell liegt weit näher und macht eher das Umgekehrte, die Uebertragung des griechischen Motivs auf die ägyptische Kunst der hellenistischen Zeit, wahrscheinlich.

Auch die Beispiele von Thonarbeiten werden sich wahrscheinlich bei aufmerksamer Durchforschung öffentlicher und privater Sammlungen vermehren lassen. Selbst in ihrer geringen Zahl aber dienen sie zum Beweis dafür, dass die Verbindung des Blätterkelchs mit der menschlichen Gestalt sich organisch einfügt in die Entwickelungsgeschichte griechischer Kunstformen[4].


  1. Wie in der in den Specimens of antient sculpture II Taf. 5 abgebildeten Gruppe des Dionysos und Ampelos.
  2. Campanische Wandmalerei S. 40.
  3. E. Tudot collection de figurines en argile gallo-romaines u. s. w. (Moulins 1860, mit 54 Tafeln) S. 54.
  4. Nur in entfernter Weise vergleichbar ist der Blätterschmuck an der eigenthümlichen Doppelherme des hiesigen Museums Nr. 988 (Triton und Libya); der männliche Kopf hat hier nicht bloß am Hals, sondern auch an den Haaren, im Barte und den Brauen akanthosähnlichen Blattschmuck.
Empfohlene Zitierweise:
Emil Hübner: Bildnis einer Römerin, Marmorbüste des Britischen Museums (die sogenannte Clytia). Berlin: W. Hertz, 1873, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bildnis_einer_R%C3%B6merin_22.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)