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Emil Hübner: Bildnis einer Römerin, Marmorbüste des Britischen Museums (die sogenannte Clytia)

Der Kelch, aus dem der Clytiakopf hervorwächst, wird nicht von den gewöhnlichen gezackten Akanthosblättern, sondern von einem dem Lotosblatt ähnlichen, nicht aber mit ihm identischen, Blatt gebildet, welches in der Verbindung mit dem Akanthosblatt und auch allein in architektonischer Verwendung häufig und daneben auch in den auf Taf. III Fig. 4 und 10 abgebildeten Bronzen und Terracotten sich ähnlich wiederfindet. Dass Townley und seine Freunde es für das Blatt des mit dem antiken ἡλιοτρόπιον (solago) identificierten Helianthus hielten, einer Pflanze, die, worauf schon Ellis aufmerksam machte, erst seit der Entdeckung von Amerika in Europa bekannt geworden ist, hat, wie schon gesagt, den Anlass zu der Benennung Clytia und zur gelehrten Verweisung auf die ovidischen Metamorphosen (4, 234 ff.) gegeben, worin der auf Apollons Liebe zur Leukothea eifersüchtigen Nymphe Clytia Verwandlung geschildert wird (V. 279 illa suum, quamvis radice tenetur, vertitur ad Solem mutataque servat amorem). Aber auch die Benennungen ‚Isis‘ (wegen des vermeinten Lotosblattes) oder gar ‚Daphne‘ (obgleich doch an den Lorbeer entfernt nicht zu denken ist), welche ebenfalls bei Ellis angeführt werden und, wie es scheint, Vertheidiger gefunden haben, sind ebenso hinfällig, sobald einmal der Blätterkelch in seiner rein ornamentalen Bedeutung erkannt ist. Auf die botanische Bestimmung der Blattformen kommt daher wenig an. Das antike Heliotropion des Theophrast, Dioscorides und Plinius finden die Bearbeiter der classischen Flora[1] im heliotropium Europaeum L., der gemeinen Sonnenwende, einer kleinen und unscheinbaren Pflanze, wieder; mit den peruanischen und brasilianischen Helianthusarten, den Sonnenblumen, deren Kelchblätter man im Kelch der Clytiabüste zu finden meinte, hat sie nicht die geringste Verwandtschaft. Zu Grunde liegt den Kelchblättern der griechischen Architectur wahrscheinlich ein schilfartiges Blatt.

Erinnert werden kann endlich noch an die nicht seltene Verwendung kleiner menschlicher Köpfe an antiken Schmucksachen, z. B. auf Nadeln als Köpfe derselben oder an Halsbändern als Anhängsel. Auch da wird die Verbindung des Kopfes mit dem Stiel am leichtesten durch ein kelchartiges Ornament hergestellt. Auf dem Diptychon des Flavius Theodorus Filoxenus Sotericus vom Jahr 525[2] hält der Dargestellte ein Scepter in der Linken, dessen Knopf durch eine aus einem Akanthoskelch hervorkommende kleine Gestalt, vielleicht die des Kaisers, gebildet wird.

So wenig wie der Kopf bietet demnach der Blätterkelch an sich in dem Kunstwerk,


  1. Meyer Geschichte der Botanik 3 S. 226 und 499, vgl. 2 S. 345; dazu die Nachweisungen bei Langkavel Botanik der späteren Griechen S. 49.
  2. Bei Gori im thesaurus diptychorum 2 S. 19 und in Donat’s thesaurus inscriptionum 1 S. 201 abgebildet.
Empfohlene Zitierweise:
Emil Hübner: Bildnis einer Römerin, Marmorbüste des Britischen Museums (die sogenannte Clytia). Berlin: W. Hertz, 1873, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bildnis_einer_R%C3%B6merin_23.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)