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Walther Kabel: Bildzauber (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 1)

die als „Rachepuppen“ von den Zauberern angefertigt wurden. Je nachdem man eine solche Rachepuppe peinigte, enthauptete, ersäufte, eines Gliedes beraubte oder verbrannte, glaubte man der durch die Puppe dargestellten Person dasselbe zuzufügen, also entweder sie rasch zu töten oder langsamem Siechtum zu überliefern.

Auch im Mittelalter und in den Hexenprozessen spielt das Zauberbild eine große Rolle. In Frankreich wurden viele Prozesse gegen arme Unschuldige geführt, die dem Könige mittels der verhängnisvollen Wachsbilder nach dem Leben getrachtet haben sollten. Auch der Name „Hexenschuß“, eine Bezeichnung, die wir noch heute für eine bestimmte Art von Kreuzschmerzen gebrauchen, stammt daher, daß man annahm, die Hexen könnten ohne äußere Verwundung einem Menschen oder Tier durch Bildzauber und vermittels eines sogenannten Albschosses (Albgeschoß) allerlei schädliche Dinge in den Körper hexen, namentlich Tiere, Nägel oder Nadeln.

Dieser merkwürdige Aberglaube hat sich sogar bis in die heutige Zeit erhalten. Im Alpengebiet, wo die Elemente des Volkswahns noch am zähesten eingewurzelt sind, lebt auch der Glaube an den Bildzauber noch fort. Vor wenigen Jahren beschuldigte sich zum Beispiel vor dem Landgericht in München in einem Prozeß eine bayrische Maid allen Ernstes, ihren plötzlich verstorbenen, treulosen Geliebten durch einen Dolchstich getötet zu haben, den sie – seiner Photographie mitten in die Brust versetzt hatte! Die rachsüchtige Schöne war arg enttäuscht, als der Gerichtshof dieser Äußerung keinen Wert beilegte, sondern nur das Mädchen ermahnte, derartigen Unsinn für die Zukunft zu unterlassen, um wenigstens vor ihrem Gewissen Ruhe zu haben.

Worauf ist nun dieser seltsame Aberglaube zurückzuführen? Wir wissen, daß Naturvölker einen großen Abscheu davor haben, sich malen oder photographieren zu lassen. Dieser Abscheu hat seinen Grund darin, daß sie in der Vorstellung leben, das Bild stelle einen wirklichen Teil ihrer Person dar. Überall findet man noch heute bei den Wilden diese Ansicht, die im

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Walther Kabel: Bildzauber (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 1). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1909, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bildzauber.pdf/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)