Seite:Biographisches Jahrbuch für Altertumskunde 18 161.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

dem Zuwenig und dem Zuviel, die zu der Frage nach der Verteilung der äußeren Güter mich zunächst in ein leidliches Verhältnis setzte. Ich lernte äußeres Gut als Quelle des Wohlseins hinlänglich schätzen, um es als Ziel mit auf die Bahn meines Strebens zu setzen, wenn ich auch nicht erfolgreich dabei war. Aber es hat mir dafür auch nie ungebührlich imponiert, wo es mir bei anderen entgegentrat, und so begann ich mit genügendem Idealismus meinen Lebensweg. Wenn ich an die weite Freiheit meiner ersten Jugend, an meine Beschäftigungen und meine Spiele und meine vielen Beziehungen zu Menschen und Tieren später zurückdachte, als ich unter das Joch der städtischen Kultur eingespannt war, glaubte ich immer in diesen reichen Erinnerungen viel vor anderen vorauszuhaben, und was mir und meinesgleichen fehlte, der Schliff der Stadtknaben, wurde, wenn auch unter unangenehmen Erfahrungen, schließlich doch auch uns zu teil.

Zu solchen Betrachtungen hätte ich nie Anlaß gehabt und äußerlich wäre mir und wahrscheinlich auch meinen Eltern das Leben leichter geworden, wenn wir in einer größeren Stadt gewohnt hätten. So aber kam ich im Alter von 13 Jahren zugleich mit meinem Bruder auf das Gymnasium zu Verden, in die Tertia. Dieser Übergang vom blöden Landfuchs, der den Briefträger in dem damals dort üblichen langen roten Rock für einen General hält, zum Abiturienten, der hinter seinen vornehmen städtischen Kameraden nun nicht mehr zurücksteht, bedeutet für die innere Entwickelung des Menschen unendlich viel mehr als das Griechisch und Latein, das er in den zurückgelegten fünf Jahren gelernt hat. Aber zunächst muß ich doch hiervon reden.

Die damalige alte Domschule zu Verden mit den Fenstern auf das stille Gartenviereck gegenüber dem gotischen Kreuzgange würde man nach heutigen Ansprüchen gewiß ein schlechtes Gymnasium genannt haben. Nicht nur nach dem äußeren Betriebe; – es waren wenig Klassenzimmer, keine geteilten Ober- und Unterklassen, sogar der Unterricht von je zwei ganzen Klassen noch für manche Fächer verbunden, und auch sonst wenig Regel, viel Willkür, – sondern auch vor allem, wenn man die Lehrkräfte ansah. Denn der Erfolg der Anstalt beruhte im Grunde auf zwei Persönlichkeiten, abgesehen von einzelnen vorübergehend wirkenden Männern. Solche Persönlichkeiten waren aber auch wiederum nur damals möglich, als man die preußischen Reglements noch nicht kannte. Der Direktor, H. G. Plaß, der Verfasser einer wunderlichen Geschichte Griechenlands und des heute noch nicht ganz vergessenen Buches über die griechische Tyrannis, war ein gelehrter Philolog aus der Schule Gottfried Hermanns. Er besaß eine selbständige Kenntnis der griechischen Litteratur und schrieb und sprach das Lateinische wie seine Muttersprache. Im griechischen Unterricht

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Biographisches Jahrbuch für Alterthumskunde, 18. Jahrgang (1895). S. Calvary & Co., Berlin 1896, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Biographisches_Jahrbuch_f%C3%BCr_Altertumskunde_18_161.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)