Seite:Biographisches Jahrbuch für Altertumskunde 18 179.jpg

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Verständnis der antiken Historiographie den Maßstab bei den großen Geschichtschreibern anderer Nationen mir verschaffen zu können. Dem nächsten, technischen Zwecke gesellte sich unerwartet ein Interesse an der Sache, und solche Beschäftigungen führten mich hinaus über die anfangs gezogene Grenze. Meiner Lehrtätigkeit sind sie zu gute gekommen, und mancher schöne Plan zu anders gerichteter Arbeit konnte für spätere Zeit zurückgelegt werden.

Zweimal im Anfange meiner Gießener Zeit habe ich auch über griechische Kunstgeschichte gelesen, für die ich mit berufen war. Später hielt ich es für richtig, an der kleinen Universität, bei beschränkten Lehrkräften und bei so vielen nötigeren Anforderungen, dieses Gebiet zurücktreten zu lassen. Die unter meiner Verwaltung stehende Sammlung vervollständigte ich und suchte sie dem Interesse der Studierenden nahezubringen; für mich war die Beschäftigung mit diesen Dingen (denn für einen Archäologen von Fach habe ich nie gelten wollen) eine domestica consuetudo. Ich benutzte sie, um das Altertum zu beleben und beschränkte mich später auf eine ein-, höchstens zweistündige erklärende Vorlesung, und ich weiß daß ich auf diesem Wege vielfach Vorstellungen und Begriffe geweckt habe, auf die der Archäolog innerhalb der Grenzen seines konventionellen Faches gar nicht kommt. – Um diese Zeit wandte ich mich, angeregt durch das lebhafte Interesse meiner Frau und gemeinsam mit ihr gelegentlich wieder den längst aufgegebenen Beschäftigungen mit der Kunst der Renaissance und der neueren Zeit zu. Auf Reisen sahen wir viel und lasen dann, nach Hause zurückgekehrt, miteinander. Hie und da erschien auch ein kleiner Journalartikel dieses oder verwandten Inhalts, alles anonym wie in früheren Jahren. Zu solchen Feiertagszerstreuungen gehörte aus früherer Zeit eine Prosaausgabe des ‚Armen Heinrich‘ in glänzendster Ausstattung, wozu Führich die Abbildungen lieferte.[1] –

Lebenskluge Männer haben oft gesagt, daß es für den einzelnen nicht sowohl darauf ankomme, was er geleistet hat, als wie das, was er zu leisten suchte, auf ihn selbst wirkte. Wenn das richtig ist, so muß ich zufrieden sein, daß ich auf dem Felde, auf dem ich zunächst zu arbeiten berufen war, anstatt vieler Einzelkenntnisse, deren Verwertung mir mehr äußere Erfolge hätte bringen können, eine Gesamtanschauung mir erarbeitet habe, auch wenn diese nicht durchweg erfreulich sein sollte. Stände nicht der Gelehrte namentlich in der kleinen Stadt dem öffentlichen Leben so völlig fern, so hätte es wohl meiner Natur entsprochen, an einem Austausche über allgemeine Fragen teilzunehmen. So aber hatte ich nur gelegentlich, wie in meiner Rektoratsrede[2]


  1. Der arme Heinrich. Sieben Zeichnungen von Joseph von Führich mit Text nach Hartman von Aue. Leipzig, Dürr 1878.
  2. [176] Einige Bemerkungen über den philologischen Unterricht. Gießen 1890.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Biographisches Jahrbuch für Alterthumskunde, 18. Jahrgang (1895). S. Calvary & Co., Berlin 1896, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Biographisches_Jahrbuch_f%C3%BCr_Altertumskunde_18_179.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)