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Anlaß mich zu äußern über einige Beziehungen meiner Wissenschaft zu dem uns umgebenden Weltganzen. Mit dem philologischen Unterrichte selbst habe ich amtlich nichts mehr zu thun. Über seine Kulturaufgabe nachzudenken werde ich nicht aufhören.

Ich habe die Überzeugung, daß mit dem jetzigen Material erhebliche oder gar irgendwie nützliche Entdeckungen, wie andere Wissenschaften sie uns bieten, nicht mehr gemacht werden können, und ich meine, dem einfachen und aufrichtigen Sinne müßte das einleuchten. Selbsttäuschungen sind ja möglich und gehen von Individuen auf einen ganzen Kreis über. Aber schwerlich darüber hinaus. Da hört der consensus auf. Deswegen ist es nicht wertlos für uns, zu wissen, was andere über unsere Arbeiten denken, die unser Thun nicht so hoch schätzen wie wir selbst. Also die Resultate und ihre Neuheit sind es wahrlich nicht, womit wir Philologen andere gewinnen können. Und damit, daß die philologischen Gelehrten untereinander und gegeneinander Abhandlungen schreiben und das Wissenschaft nennen, ist jedenfalls nicht der letzte Zweck erfüllt, den die antike Kultur noch für unser Jahrhundert hat. So gut wie die Pädagogen von ihrem Gesichtspunkte aus für die Schule den Stoff der griechisch-römischen Welt verwerten, so gut muß auch der Ertrag der wissenschaftlichen Arbeit, wenn es überhaupt einer ist, in einfacher Darstellung dem durch die griechisch-römische Disziplin erzogenen Gebildeten verständlich gemacht werden können. Und es hat eine Zeit gegeben, wo das geschah. Geht dieses nicht mehr, so bleibt nur noch jenes übrig. Hörte auch das einmal auf, so wäre die Wissenschaft von Griechenland und Rom eitel Scholastik geworden und würde nicht mehr verstanden werden, wie der Aturenpapagei in Humboldts Schilderung des Orinoco. –

Der Gedanke, mein Lehramt aufzugeben, ist mir öfter nahe getreten. Ich habe ihn immer zurückgedrängt. Lebenswege selbst zu ändern hat sein Mißliches. Schließlich habe ich es für nötig gehalten, um meinen Abschied nachzusuchen und habe ihn im Herbst 1893 in Gnaden von meinem Landesherrn erhalten, –

dum nova canities, dum prima et recta senectus,
dum superest Lachesi quod torqueat –

und mit freundlichen Wünschen für dieses Gespinnst wolle der Leser von mir und meinem Nekrolog Abschied nehmen.

Dresden, im Herbst 1894. A. P.     

Einige Bemerkungen über den philologischen Unterricht. Gießen 1890.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Biographisches Jahrbuch für Alterthumskunde, 18. Jahrgang (1895). S. Calvary & Co., Berlin 1896, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Biographisches_Jahrbuch_f%C3%BCr_Altertumskunde_18_180.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)