Seite:Bismarck und das deutsche Gemüt 15.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

verpflichten will. Auf der Höhe des Lebens gewinnt der Mann selten mehr Freunde, es beginnen die Jahre der Involution, wie sie unsere Alten nannten, denn „der Mensch gehet dahin, wo er ewig bleibt“, zieht sich auf sein Innenleben zurück und wird karg und spröde. Aber die in der mitteilsfrohen und leicht sich erschließenden, gerne sich anschließenden Jugend gewordenen Freundesbündnisse, wie sie Hochschule und gemeinsame Lernarbeit, gleicher Dienst erwecken, bleiben, je älter ihre Träger werden und retten ein Stück Jugendglanz und -Größe in das freudlosere Alter und seine Beschaulichkeit. Ja, ihre Fortdauer ist die Probe auf die Echtheit und der Erweis, daß sie wert waren, geschlossen zu werden und zu bleiben.

.

 Der Amerikaner Lothrop Motley, den er einst im Studentenkorps der Hannoveraner kennen und lieben gelernt hatte – mit ihm oder mit seinem Freunde Coffin hatte er die berühmte Wette eingangen, daß Deutschland in zwanzig Jahren einig sein werde! – blieb der treue Jugendfreund, dem der Fürst schrieb (24. 6. 1864), „er werde Zeit für ihn und alte Zeiten finden, die Unionsflagge solle über dem Hause wehen und das Gespräch und der Wein solle Verdammnis über den (amerikanischen) Rebellen ausströmen.“ Ihm schickt er auf die Bitte um Bilder „zwei melancholische Zivilisten und einen fetten melancholischen Herrn, der durch alle Plage gar nicht bekümmert scheint.“ Mit ihm will er streiten, ob Byron und Goethe miteinander in Vergleich zu stellen sind und beschwört ihn, zu kommen, da er sonst krank vor Sehnsucht werde, und „das müßte dann die übelsten Wirkungen auf die gesamte Politik haben.“ Der Brief Motleys an seine Gemahlin (25. Juli 1872) hat dem Freunde das schönste Denkmal gesetzt: „Ganz gewiß lebte nie ein Sterblicher, der so unaffektiert war und auch kein genialerer.“ Anders ist die Freundschaft mit Roon beschaffen. – Es ist die Freundschaft, die nie genießen, sondern schwer

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Bismarck und das deutsche Gemüt. Paul Müller, München ca. 1916, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bismarck_und_das_deutsche_Gem%C3%BCt_15.png&oldid=- (Version vom 19.7.2016)