Seite:Bismarck und das deutsche Gemüt 22.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

alles, nichts aus Büchern lerne, mit freiem Auge die Dinge sich ansehe und mit klarem Sinn sehe und erfasse, wie sie sind, nicht mit gefärbten Brillen sich etwas vorzeichne, was nur in der Phantasie bestehe und nur so lange währe, als diese vorhält. Es ist darum auch eines Bismarcks Ehrentitel, daß er „Bauernverstand“ gehabt habe, der mit gesundem Mißtrauen das Neue betrachtet und mit sicherer Hand seine Tauglichkeit erprobt. Aber der schönste Zug dieses Bauernverstandes ist doch das „durch Dick und Dünn“ für einmal Erprobtes und Liebgewordenes.

 Bauern sind scharfe Beobachter und Leute von wenig Worten. Aber in ihren Worten wohnt die Wahrheit für die Wirklichkeit, und der rechte Ton trifft jeweils die Sache. Wer so reden kann, daß man ihm unwillkürlich beifällt und die Begriffe so plastisch darstellt, daß sie Fleisch und Blut erhalten und als Persönlichkeiten vor uns stehen, der hat das Ohr und Herz des Volkes.

 Ob nun Bismarck: spricht oder schreibt, im Reichstage Worte prägt, die bald zu den „geflügelten“ gehören – das bekannte „Wir fürchten Gott und sonst nichts in der Welt“ ist von ihm an-, nicht eingeführt –, ob er in seinen Berichten gegen Zwangsenteignung von dem Staate spricht, der „bald im Schlafrock, Pantoffeln und Schreibärmeln über die Felder schleicht, bald als Junker Dampf über die Täler hinbraust, der seines Vaters Park in einen See und das Grab der seligen Tante in einen Aalsumpf verwandeln wolle“, ob er mit unnachahmlicher Feinheit Gortschakoff, den russischen Staatsmann zeichnet, den die Reichshunde anfallen – und „er kam doch in den besten Absichten!“ der so eitel war, daß er in jeder Regenlache sein Bild besah und von seinen Sekretären bewundernde Blicke verlangte, dabei so gierig, daß „er um eine goldene Dose mit großen guten Steinen bat“, immer steht ihm das rechte Wort zu Diensten, das kurz und schlagend, oft vielleicht schonungslos – denn zu hassen

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Bismarck und das deutsche Gemüt. Paul Müller, München ca. 1916, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bismarck_und_das_deutsche_Gem%C3%BCt_22.png&oldid=- (Version vom 19.7.2016)