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Walther Kabel: Bix. In: Von Nah und Fern. Illustriertes aktuelles Unterhaltungsblatt für Jedermann. Beilage zur Lienzer Zeitung. Heft 27 S.1–4, Heft 28 S.2–5, Heft 29 S.2–5, Heft 30 S.1–5, Heft 31 S.6

Bix.
Eine Detektiv- und Herzensgeschichte von Walther Kabel.
(Nachdr. verb.)

Assessor Benters warf eben das letzte Aktenstück in den Bock zurück, schaute erleichtert aufatmend auf die vor ihm liegende Taschenuhr, deren goldener Deckel mit dem verschlungenen Monogramm F. B. offenstand, mußte aber zu seinem stillen Bedauern feststellen, daß es erst zwölf war – eine Zeit, zu der er unmöglich schon mit der Vormittagsarbeit Schluß machen konnte, wenn es ihn auch noch so sehr hinauszog in den sonnendurchleuchteten Sommertag, von dem man allerdings in dem großen Amtszimmer nur eine erdrückende, erschlaffende Hitze zu fühlen bekam. Rechts von ihm an der Schmalseite des grünbezogenen Tisches saß der Referendar Dr. Jarotzki, blätterte in einem dicken Kommentar der Grundbuchordnung und blickte schließlich anscheinend recht gelangweilt durch die halb angelehnten Fenster hinaus auf[1] die beiden Reihen der hohen Linden, die die Allee vor dem Gerichtsgebäude einsäumten und einen Teil des Häusermeeres von Stranddorf und ein Stück der leichtbewegten, blauen See wie in einem grünen Rahmen einschlossen.

Das Amtsgericht lag im Oberdorf des vielbesuchten Ostseebades auf einer kleinen Anhöhe inmitten eines wohlgepflegten Gartens, dessen Rosenschmuck immer aufs neue die bewundernden Blicke der Vorübergehenden auf sich lenkte und dem roten, hohen Ziegelbau mit der von wildem Wein dicht berankten Front ein so freundliches, anheimelndes Aussehen gab. Der alte Amtsgerichtsrat Steiner, der nun schon an die zwanzig Jahre dem Stranddorfer Gericht angehörte, war auch nicht wenig Stolz auf diese Rosenstöcke, unter denen sich viele seltene Exemplare befanden, und hatte mit unermüdlichem Eifer[2] und größter Sorgfalt manche Morgenstunde diesen seinen Lieblingen gewidmet, bevor ihn dann im Frühjahr die Folgen einer schweren Influenza zu einem längeren Urlaub und einer Reise nach Wiesbaden zwangen. Mit seiner Vertretung war Assessor Fritz Benters beauftragt worden, der bis dahin in einem kleinen Nest der Provinz als Einzelrichter ein ebenso beschauliches, wie eintöniges Dasein geführt hatte und seine Vertretung schon aus dem Grunde wie einen Erlösung begrüßte, weil er von dem abwechslungsreichen Leben und Treiben in dem modernen, besonders von russischen Familien sehr stark besuchten Bade einige Ablenkung von seinen meist recht trüben Gedanken erhoffte, denen er in dem Städtchen in der Kassubai nur zu sehr nachzuhängen Gelegenheit fand.

Benters war ein stiller, ernster Mensch, dessen zurückhaltendes Wesen auf Leute, die ihn nur oberflächlich kennen lernten, stets den Eindruck hochmütiger Verschlossenheit machte, trotzdem dieser Charakterzug dem in einer harten Lebensschule früh Gereiften vollständig fernlag. Des Assessors schlanke, vornehme Gestalt mit der fast zu aufrechten Haltung und sein scharf geschnittenes Gesicht mit der temperamentvollen Nase und den stets so ernstblickenden braunen Augen waren allerdings nur zu sehr geeignet, diesen Eindruck noch zu verstärken. Und so war auch Referendar Jarotzki, der als einziges Kind vermögender Eltern mit seiner Genußfreudigkeit und steten Heiterkeit das gerade Gegenteil zu seinem nur um zwei Jahre älteren Vorgesetzten


  1. Vorlage: au
  2. Vorlage: Eif r
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Bix. In: Von Nah und Fern. Illustriertes aktuelles Unterhaltungsblatt für Jedermann. Beilage zur Lienzer Zeitung. Heft 27 S.1–4, Heft 28 S.2–5, Heft 29 S.2–5, Heft 30 S.1–5, Heft 31 S.6. Georg E. Nagel in Berlin-Schöneberg, Lienz 1913, Seite Nr.27,S.1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bix_0001.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)