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Walther Kabel: Bix. In: Von Nah und Fern. Illustriertes aktuelles Unterhaltungsblatt für Jedermann. Beilage zur Lienzer Zeitung. Heft 27 S.1–4, Heft 28 S.2–5, Heft 29 S.2–5, Heft 30 S.1–5, Heft 31 S.6

selbstvergessenes Weinen. Benters will aufspringen, zu ihr eilen … Was will er nicht alles in diesem Augenblick, als es über die geliebte Gestalt wie ein Zittern hinläuft. Da wendet sie sich ihm zu … Der Klaviersessel kreischt auf, und der Mißton des knarrenden Holzes ruft ihn in die Wirklichkeit zurück. Jetzt beginnt sie zu sprechen, leise, kaum vernehmbar, zögert, sucht oft nach einem Ausdruck, der manches vielleicht beschönigen, vielem die leidenschaftliche Schärfe nehmen soll. – Was er hört, hat er längst geahnt. Die Geschichte einer unglücklichen, martervollen Ehe ist’s, einer Ehe, die sie, die kaum Achtzehnjährige mit dem um zwanzig Jahre älteren Manne einging, nur … weil es ihrer Eitelkeit schmeichelte, als die erste aus dem Kreise ihrer Freundinnen den glatten goldenen Reif am Finger zu tragen …

„Das Schicksal hat mich für diese Unüberlegtheit gestraft – vielleicht zu hart … Ich wußte ja damals nicht, was es heißt, von einem um so viel Jahre älteren Manne stets – als Kind behandelt zu werden, ahnte nicht, daß in so kurzer Zeit aller Frohsinn, aller Lebensmut mir verloren gehen sollte. – Sonnenscheinchen hatten mich meine Lehrerinnen und meine Pensionsschwestern stets genannt – Sonnenscheinchen! Und kaum vier Jahre später hatte ich das Lachen verlernt, wurde betrogen, geschulmeistert, angefahren … solle das artige Kind bleiben, das jedem Winke gehorchen, nie einen eigenen Willen haben sollte … Gewiß, ich lehnte mich auf gegen diese Behandlung, bin auch eines Tages zu meinen Eltern zurückgekehrt, warf mich meinem Vater zu Füßen und flehte: „Behaltet mich hier – schickt mich nicht wieder zu ihm zurück …“ Aber als er dann kam und mit einem Aufgebot so schön klingender Worte von Reue und Besserung sprach, so geschickt die Hauptschuld auf mich abzuwälzen wußte, da … mußte ich mit, mußte … Und damals ist etwas in meinem Herzen zerrissen, das bis dahin trotz der durchweinten Nächte, der Stunden voller Verzweiflung und ohnmächtiger Wut noch gehalten hatte: Der Glaube an verstehende Elternliebe … Arm, ganz arm kehrte ich in sein Haus zurück, mußte noch zwei Jahre neben ihm hergehen, zwei Jahre, die mich hart und gefühllos gemacht haben. – Dann wurde ich erlöst. Was ich lange geahnt, wurde eines Tages zur Gewißheit: Mein Mann, der die Tage und Nächte am Spieltisch zugebracht hatte, wurde geisteskrank, starb nach kurzem Krankenlager in einer Anstalt. … Ich blieb allein mit meinem Kinde, konnte nun aufatmen. Aber die Aufregungen der letzten Wochen waren zu viel für mich gewesen. Fast ein Jahr dauerte es, bis ich so weit wiederhergestellt war, daß ich das Sanatorium in Bad L…… verlassen durfte. Körperlich hatte ich meine Gesundheit wiedergefunden, aber … mein Herz war tot, erstorben, jede Lebensfreude von mir gewichen. In den meist von wilden Fieberphantasien ausgefüllten Stunden meines Krankenlagers hatte ich diese Vergangenheit immer wieder durchlebt. Und immer wieder war es die Gestalt meines … Gatten, die mich ängstigte, aufschreien ließ … Können Sie nun verstehen, lieber Freund, das eine Frau, der das Leben nur Bitternis, nur Enttäuschungen und Qualen brachte, den Mut nicht nochmals findet, sich einem Manne anzuvertrauen, daß eine solche Frau besser allein bleibt mit ihrem steten Mißtrauen und dieser Angst vor der Vergangenheit, die ja noch heute ebenso lebendig ist wie einst, mich nie froh werden läßt, nie! Würde ich nicht ein Unrecht begangen haben, wenn ich Ihnen die Last aufgeladen hätte, täglich, stündlich gegen die Gespenster ankämpfen zu müssen, würden auch Sie bei aller Ihrer Weichheit und Herzensgüte nicht bald ermüdet sein in dem Bestreben, Ereignisse aus meinem Gedächtnis auszuwischen, die ich nicht vergessen kann, weil sie meine Jugend, mein Herz wie eine starre Kette umklammert und langsam erdrückt, vernichtet haben …? – Sprechen Sie nicht dagegen, lieber Freund! Sie wissen ja nicht, was ich durchgemacht habe. Denn diese meine Beichte kann Ihnen kaum einen Begriff von den Demütigungen geben, die ich wortlos hinnehmen, von all dem Herzeleid, das ich vor der Welt noch verbergen mußte, von dem gequälten Lächeln, mit dem ich mich den Menschen zeigte. Vielleicht hat man mich sogar beneidet, weil der Reichtum meines Gatten mir die Erfüllung aller Wünsche zu gestatten schien … Und dabei war ich ja so arm, so bettelarm an Glück, ich, die sich als … Sonnenscheinchen in übermütigen Träumen einer seligen Zukunft gewiegt hatte und so an Liebe gewöhnt war.“

Müde erhob sie sich und kam jetzt auf Benters zu, legte ihm die linke Hand leicht auf die Schulter und schaute ihn bittend an.

„Nicht wahr, Sie Guter, jetzt bleiben wir Freunde, wo Sie mich verstanden und eingesehen haben, daß ich aus tiefer Dankbarkeit für die schönen Stunden, die Sie mir schenkten, meinen Stolz beiseite gesetzt und dafür Ihnen einen Einblick in einen Abschnitt meines Lebens gegeben habe, den ich bisher vor jedem, aber auch vor jedem so sorgfältig verbarg … so sorgfältig, daß ich nur in Rücksicht auf die so schnell verurteilende Welt auch die Schmucksachen weitertrug, die mich ständig an das Einst erinnerten, und von denen ich jetzt endlich befreit bin, endlich. Ich bin dem Geschick ja so dankbar, daß die

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Bix. In: Von Nah und Fern. Illustriertes aktuelles Unterhaltungsblatt für Jedermann. Beilage zur Lienzer Zeitung. Heft 27 S.1–4, Heft 28 S.2–5, Heft 29 S.2–5, Heft 30 S.1–5, Heft 31 S.6. Georg E. Nagel in Berlin-Schöneberg, Lienz 1913, Seite Nr.29,S.4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bix_0012.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)