Seite:Blätter für literarische Unterhaltung 1838 - 605.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Neu aufgefundene Briefe des Dante Alighieri.

 Der große Mangel an Nachrichten über Dante’s Lebensumstände, der den Erklärer seiner dichterischen Werke so oft eines der wichtigsten Hülfsmittel schmerzlich entbehren läßt, ist besonders dem auffallenden Umstande zur Last zu legen, daß der Briefwechsel des Dichters, der nach dem Zeugniß seiner ältern Biographen ein ausgebreiteter und inhaltreicher war, zum größten Theil für uns verloren gegangen ist. Noch vor 50 Jahren besaßen wir nur einen einzigen Brief des Sängers der „Göttlichen Komödie“, und dieser eine (die Dedication des „Paradieses“ an Can grande della Scala), dessen Echtheit noch dazu neuerlich mehrfach bestritten ist, verdient mehr den Namen einer Vorrede als den eines Briefes. Dann machte Dionisi einen kurzen, aber sehr bezeichnenden Brief bekannt, in welchem Dante die Heimkehr aus der Verbannung, die ihm unter entwürdigenden Bedingungen geboten war, mit edlem Selbgefühl zurückweist. Außerdem besaßen wir nur neuere, vermuthlich von Marsilius Ficinus herrührende Übersetzungen von zwei Briefen, in deren einem Dante die Fürsten und Freistaaten Italiens auffordert[1], sich Heinrich VII. auf seinem Römerzuge ergeben, friedfertig und einig zu erweisen, und in denen anderm er den Kaiser selbst ermahnt, von der Lombardei, deren Intriguen und Kämpfe ihn ein kostbares Jahr verlieren ließen, nach Toscana herabzusteigen und das rebellische Guelfenthum in Florenz als in seiner Wurzel zu besiegen.

 Als ich vor etwa zehn Jahren eine Sammlung von Dante’s Briefen (in nur 60 verschenkten Exemplaren) herausgab, war ich so glücklich, derselben an bisher ungedruckten Stücken das Original des Briefes an Heinrich VII., ferner ein Sendschreiben an die im Conclave von Carpentras mit versammelten italienischen Cardinäle (in welchem Dante ihnen das Verderbniß der damaligen Geistlichkeit vorhält und sie den päpstlichen Stuhl wieder nach Rom zurückzuverlegen ermahnt), sowie endlich einen Brief an Cino von Pistoja einverleiben zu können, der eine dem Schreiber vorgelegte Liebesfrage zu lösen bestimmt ist. Seit jener Zeit fortwährend auf jede Spur ähnlicher Überbleibsel merkend, hat mich endlich durch bereitwillige Vermittelung entfernter Freunde das Verfolgen Einer solchen Spur zu einem unerwartet reichen Funde geführt, über den ein kurzer vorläufiger Bericht auch in weiterm Kreise einiges Interesse gewähren dürfte.

 Unter den Handschriften, welche Maximilian von Baiern 1622 Gregor XV. als einen Theil der heidelberger Beute zum Geschenk sandte, enthält die mit Nr. 1729 bezeichnete, in Quart auf Pergament, wie es scheint im Sommer 1394 von Francesco da Monte Pulciano zu Perugia geschriebene Handschrift nächst den zwölf Eklogen des Petrarca und nächst Dante’s bekannter, aber in Manuscripten selten vorkommender Schrift über die Monarchie eine Sammlung von neun Briefen, unter denen bis jetzt nur einer, nämlich der von mir herausgegebene Brief des Dante an Heinrich VII. gedruckt ist; auch für diesen bietet indeß die Handschrift eine beträchtliche Reihe von Verbesserungen. Einen zweiten Brief, nämlich den an die Fürsten Italiens, besaßen wir bis jetzt nur in der bereits erwähnten Übersetzung, und hier findet er sich nun endlich im Originale. Die übrigen sieben waren bis jetzt vollkommen unbekannt. Drei darunter schreibt das alte Manuscript mit Bestimmtheit unserm Dichter zu, die übrigen viere scheinen gleichmäßig durch die Zusammenstellung wie durch den Inhalt als von demselben, obwol in fremden Namen geschrieben, bezeichnet zu werden. So läßt sich denn behaupten, daß dieser eine Fund unsern bisherigen Vorrath so ziemlich verdoppele.

 Der der Zeitfolge nach erste, in der Handschrift aber achte, Dante nicht ausdrücklich beigelegte Brief ist im Namen des Anführers (Alessandro da Romena), des Rathes (von zwölf Personen, zu denen Dante selbst gehörte) und der Gesammtheit – capitaneus, consilium et universitas – der aus Florenz vertriebenen Weißen an den Cardinal Nicolaus von Ostia (Albertini aus Prato) gerichtet. Es war dieser Cardinal von dem, erst am 22. Oct. 1303 zum Pontificat erhobenen Papst Benedict XI. zu Anfang 1304 abgesandt worden, um in Toscana, der Maremma und Romagna zwischen Ghibellinen und Guelfen, Weißen und Schwarzen, und wie sonst noch die fast in jeder Stadt einander feindlich gegenüberstehenden Parteien hießen, Frieden zu stiften. Er traf am 10. März in Florenz ein und wußte sich schnell fast unbedingtes Zutrauen zu erwerben; bald aber verbreitete sich das angeblich durch untergeschobene Briefe genährte Gerücht, daß er die verbannten Weißen zum Schaden der in Florenz zurückgebliebenen


  1. Vorlage: auffodert