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Inhalts der Dichtung, obwohl ihr Grundcharakter stets derselbe ist.

V

Mit der Maschinenproduktion beginnen zum ersten Male die grundsätzlichen Gegensätze in der Natur der Arbeit zusammenzuwachsen. „Arbeiterhände“ sind nicht mehr einfach Hände, der Arbeiter ist kein passiv und automatisch ausführendes Individuum. Er ist untergeordnet, aber auch er lenkt den „eisernen Sklaven“, die Maschine. Je komplizierter und vollkommener die Maschine, um so mehr Arbeit, Beobachtung und Kontrolle, Übersicht über alle Seiten und Bedingungen ihrer Funktion; die Maschine hat zeitweise auch ihre Launen und ihr Versagen, und in solchen Fällen ist ein sicherer Blick für das Geschehene, Initiative und Entschlossenheit von äußerster Wichtigkeit. Dies aber sind grundsätzliche Züge einer organisatorischen Arbeit; die mit Fähigkeit zu angestrengter Aufmerksamkeit verbunden – alles Eigenschaften, die einen Organisator charakterisieren. Die Arbeit bleibt jedoch eine unmittelbare physische Anstrengung; gleichzeitig mit dem Gehirn arbeiten auch die Hände.

Die Spezialisierung betrifft auch nicht mehr so sehr die Arbeiter als die Maschinen; die Arbeit an verschiedenen Maschinen ist ihrem organisatorischen Inhalte nach in den meisten Fällen sehr ähnlich. Das ermöglicht das gegenseitige Verständnis bei einer gemeinsamen Arbeit, gegenseitige Hilfe durch Rat und Tat. Dabei werden die Grundlagen einer kameradschaftlichen Form der Arbeitsgemeinschaft gelegt, auf der dann das Proletariat alle seine Organisationen aufbaut.

Das Charakteristische dieser Form ist das Verschmelzen der organisatorischen Arbeit mit der ausführenden. Aber sowohl die Organisatoren wie die Ausführenden sind hier nicht einzelne Personen, sondern das Kollektiv. Die Angelegenheiten werden gemeinsam besprochen und entschieden; jeder ist an der Ausarbeitung des kollektiven Willens und seiner Verwirklichung beteiligt. Die Organisation[WS 1] wird hier nicht durch Macht und Unterordnung erreicht, sondern durch kameradschaftliche Initiative und Leitung seitens aller, durch kameradschaftliche Disziplin seitens jedes einzelnen.

Die Keime der kameradschaftlichen Arbeitsgemeinschaft waren auch früher schon vorhanden; aber erst in unserer Epoche bekommt sie einen Massencharakter und tritt als Grundtypus der Organisationsform einer ganzen Klasse auf. Mit dem Fortschritt der Technik wird sie vertieft, sie bekommt breitere Dimensionen mit der fortschreitenden Konzentration des Proletariats in den Städten, in den riesenhaften Fabrikunternehmungen.

Die Konzentration des Proletariats in den Städten und Fabriken hat eine ungeheuer komplizierte Wirkung auf seine Psychologie. Sie entwickelt das Bewußtsein, daß die Persönlichkeit, allein genommen, ein machtloses Spielzeug den Händen der äußeren Gewalten sein würde, ein lebensunfähiges Gewebe Fetzen, das von dem mächtigen Organismus abgerissen wurde. Das persönliche „Ich“ wird auf die ihm geziemende Dimension und auf den ihm geziemenden Platz zurückgeführt.

Die kameradschaftliche Arbeitsgemeinschaft ist keine fertige Form; sie befindet sich noch in ihrer Entwicklung, je nach den Umständen auf einer verschiedenen Stufe der Entwicklung; das kameradschaftliche Bewußtsein folgt dieser Entwicklung nach, wobei es immer etwas zurückbleibt. Dies ist die Grundlinie der Bahn des Proletariats; sie ist sogar noch in den fortgeschrittensten Ländern nicht vollendet. Sie wird ihre Vollendung nur im Sozialismus finden, der nichts anderes ist als eine kameradschaftliche Organisation des ganzen Lebens der menschlichen Gesellschaft.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Organistiaon
Empfohlene Zitierweise:
Alexander Alexandrowitsch Bogdanow: Über proletarische Dichtung. Die Aktion, Berlin 1921, Seite 309. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bogdanow_(1921)_UPD.pdf/7&oldid=- (Version vom 31.7.2018)