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die Schrift in diesen größeren Zusammenhang der jüdischen Apokalyptik hineingestellt. In genialer Weise hat dann Corrodi[1] die Apokalyptik (den Chiliasmus) nicht nur als eine Erscheinung der spätjüdischen und frühchristlichen Zeit zu begreifen, sondern auch nachzuweisen gesucht, daß hier eine zusammenhängende festgegliederte Kette von Erscheinungen vorliegt, die bis tief in die Reformationszeit hineinreicht. Doch war dies Unternehmen verfrüht, auch hinderte der derbe Rationalismus Corrodis ihn an einem richtigen und eindringenden Verständnis dieser geschichtlichen Erscheinung. Er kommt über lauter Schelten und Poltern nicht zum Verstehen der Dinge. Und seine Sammlungen, die mit umfassender Gelehrsamkeit gemacht sind, sind ein wirrer ungeordneter Trümmerhaufen. Höher steht Gfrörers Jahrhundert des Heils. (Geschichte d. Urchristentums III 1. 2. 1738). Auch dieses Werk eilt der Entwicklung der Forschung um einige Jahrzehnte voraus. Gfrörer erweiterte namentlich den Blick über die spätere jüdische Literatur und zeigt dabei eine glänzende, wenn auch oft in die Irre führende Fähigkeit religionsgeschichtlicher Kombination.

Auf dem engeren und uns hier eigentlich in erster Linie interessierenden Gebiet der vorchristlich-jüdischen und frühchristlichen Apokalyptik hat vor allem das groß angelegte Werk von Lücke, Versuch einer vollständigen Einleitung in die Offenbarung Johannes 1832¹, 1852², Bahn gebrochen. Es ist das Verdienst Lückes, in durchschlagender und überzeugender Weise die Betrachtung der Literatur von Daniel bis zur Johannes-Offenbarung als einer innerlich einheitlichen durchgeführt zu haben. Freilich bemüht sich Lücke dabei vergeblich, daneben den Begriff einer spezifisch biblischen Apokalyptik festzustellen, nicht zum Vorteil der Klarheit der Sachlage. Neben Lücke ist dann Ewald Geschichte des Volkes Israel Bd. V 1867³ zu nennen. Trotz lauten Widerspruchs von spezifisch bibelgläubiger Seite (Hengstenberg, Auberlen) brach sich jene Betrachtungsweise auch hinsichtlich des Danielbuches allmählich Bahn. Eine noch bestimmtere und klarere Auffassung von dem Wesen der Apokalyptik liegt bei Hilgenfeld a. a. O. vor. Neueste zusammenfassende Arbeiten auf diesem Gebiete sind: E. Schürer, Geschichte d. jüdischen Volkes³ II 496-556; W. Bousset, Rel. des Judentums 1903. 195-276; W. Baldensperger, Selbstbewußtsein Jesu: I. Teil: Die messianisch apokalyptischen Hoffnungen d. Judentums 1903; P. Volz, Jüdische Eschatologie von Daniel bis Akiba 1903. Besondere Bahnen ging Gunkel in seinem Werk: Schöpfung und Chaos (1894). Hier wird der Versuch gemacht, die apokalyptische Literatur in einen noch breiteren Zusammenhang hineinzustellen und mit Hülfe einer umfassenderen (religionsgeschichtlichen) Methode zu verstehen (das genauere s. unter Abschnitt IV).

Es muß hier hinsichtlich der Frage nach den der Apokalyptik eigentümlichen Grundanschauungen auf die eben genannten zusammenfassenden Darstellungen verwiesen werden. Es würde sich hier nicht lohnen, diese ausführlicher


  1. Geschichte des Chiliasmus, Frankfurt und Leipzig 1781. Vgl. auch die wertvolle Schrift von Berthold, Christologia Judaeorum, Gotha 1828.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen 1906, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S002.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)