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πνεύματι auf einen hohen Berg. Aber der Apokalyptiker enthält sich aller weiteren Ausmalung der Entrückungen, wie wir sie in der verwandten Literatur finden; ihm ist die Entrückung ein Mittel zum Zweck.

Charakteristisch ist es weiter, daß die Apokalyptik fast immer einen oder auch mehrere

Offenbarungsmittler zwischen Gott und dem Seher annimmt. Gewöhnlich ist es ein oft nicht näher bestimmter Engel, der dann einfach als „der“ Engel eintritt. Es ist eben derjenige Engel, der in diesem Fall die Stellvertretung Gottes übernimmt, da dieser nach spätjüdischer Vorstellung nicht mehr selbsttätig bei dem Offenbarungsvorgang eingreift. Schon im apokalyptischen Sacharjastück spielt der Engel die Rolle des Deuters der einzelnen Gesichte (vgl. den „heiligen Wächter“ in Nebukadnezars Traum Dan 4,10ff.). In der zweiten Hälfte des Danielbuches hat Gabriel die Aufgabe der Traumdeutung 8,16ff., resp. der richtigen Schrifterklärung 9,21. Vielleicht ist auch 10,1ff. Der Menschengestaltige, der diesmal als Träger der ganzen Offenbarung erscheint, kein anderer als Gabriel. In der Entrückungsvision erscheint dann fast immer ein Engel als Begleiter des wandernden oder zum Himmel fahrenden Sehers (vgl. die Reisen des Henoch I Hen 18,14; 19,1; 21,5.9; 27,2; 33,14 (Uriel); 22,6 u. ö. 32,6 (Raphael); 23,4; 24,1 (Raguel); 24,6ff. (Michael). Die ganze Himmelsökonomie 72ff. wird dem Henoch durch Uriel offenbart. In den Bilderreden geleitet ein ungenannter Engel den Seher: „der Engel, der mit mir ging“ 46,2; 52,3; „der Engel des Friedens“ (der mit mir ging) 40,8; 52,5; 53,4; 54,4; 56,2 (vgl. Jes 33,7). Bei der Himmelfahrt Henochs geleitet ihn Michael 71,3. Zwei Engel führen den Henoch im slavischen Henoch durch die sieben Himmel. So sehen wir den begleitenden Engel im Testamentum Levi., der Visio Jesaiae, der Apokalypse (hrsg. v. Bonwetsch Stud. z. Gesch. d. Theol. u. Kirche I 1. 1897) und dem Testamentum Abrahams, (hrsg. von M. R. James Text a. Studies II 1892), im slavisch-griechischen Baruchbuch.

Bemerkenswert ist es, daß im IV Buch Esra der in den ersten Visionen erscheinende Offenbarungsengel, (Uriel nach 4,1; 5,20.31; 7,1) so sehr nur der Zeuge der Offenbarung Gottes ist, daß seine Gestalt oft gänzlich mit derjenigen Gottes verschmilzt (vgl. z. B. 5,43ff.). Noch bemerkenswerter ist es, daß in der Apokalypse des Baruch die Figur des Offenbarungsmittlers ganz verschwunden ist und der Seher hier überall direkt mit Gott verkehrt[1]. An diesem Punkt nimmt die Apokalypse des Baruch eine vollkommen singuläre Stellung innerhalb der späteren jüdischen Literatur ein.

Eigentümlich ist hier auch die Stellung der Offenbarung Johannes. In der ersteren größeren Hälfte spielt, abgesehen von der Überschrift (s. u.), der Offenbarungsengel keine Rolle. Dafür ist es Christus selbst, der seinem Seher erscheint, und bei seinem Eintritt in den Himmel wird nur gesagt, daß der Seher ἐν πνεύματι war[2]. Der 10,1ff. erscheinende Engel hat nur vorübergehende Bedeutung. Dagegen wird dem Seher das Gesicht von der


  1. Die Visionen k. 6 u. 7, in denen die Engel eine Rolle spielen, sind dem Ezechiel nachgebildet.
  2. Die Stimme 1,10 und 4,1 ist die Stimme Christi oder Gottes.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen 1906, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S006.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)