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mag, und ob wir diese Frage lösen oder nicht, das macht für unser direktes Verständnis des Danielbuches nichts mehr aus.

Die Allegorie ist also das erste und oberste Mittel des Apokalyptikers, seiner Weissagung einen geheimnisvollen Zauber zu geben, mit dem er die Leser und Hörer zu fesseln und ihre Aufmerksamkeit und ihr Interesse zu erregen sucht. Fast möchte man sagen, stören nun die meisten Apokalyptiker den von ihnen beabsichtigten Zweck, den Eindruck des Feierlichen, Geheimnisvollen, durch die ihren Weissagungen fast regelmäßig zugefügten Deutungen. Die apokalyptische Allegorie bedarf eben wie jede Allegorie der Deutung. Immerhin paßt sich auch die Deutung dem Stil der Apokalyptik an, sie wird als feierliches Geheimnis, als besondere Offenbarung, die der Seher für die Frommen aufzeichnet, mitgeteilt. Sehr oft (man vgl. Sacharja, Daniel, Apk Joh 17[1], die ersten Visionen des IV Esra) übernimmt der in der Vision erscheinende Engel gerade die Deutung der Vision. Dies erhöht den Eindruck ihrer Bedeutung. Auch sonst ist die Erklärung selbst oft im Rätselstil gehalten, sie deutet nur an und läßt vieles bei Seite. Vieles war für den Apokalyptiker, der ein bereits ausgeprägtes Bild übernimmt, überhaupt nicht mehr deutbar und umsomehr dann mysterium tremendum. Bemerkenswert ist an diesem Punkt, daß die Johannesapokalypse im allgemeinen die regelrechte Deutung nicht kennt. Es werden hier nur Einzelheiten in den Visionen im Vorübergehen, oft nur in einem einfachen Relativsatz, gedeutet 1,20; 4,5; 5,6; 5,8; 7,14; 11,4; 14,4: 16,14; 19,8 (19,13b), so daß man fast versucht sein könnte, erst an eine nachträgliche Hinzufügung der meisten dieser kurzen Zusätze durch die Hand eines Abschreibers zu denken. Eine halbe Deutung, die wieder nur ein neues Rätsel enthält, ist auch die Zahl des Tieres 13,18. Eine ausführlichere Deutung liegt nur k. 17 vor und wieder ist diese Deutung in einem besonders geheimnisvollen Rätselton gehalten. Sonst aber läßt der Apokalyptiker ohne Erklärung die Fülle seiner geheimnisvollen Bilder vorüberrauschen. Zweifellos verleiht dieser Umstand seiner Weissagung eine ganz besondere einheitliche Wucht.

Noch durch manche andere Mittel erzielen die Apokalyptiker jene Stimmung des Geheimnisvollen, auf die es ihnen ankommt. Sie lieben geheimnisvolle Worte und Umschreibungen: „der Betagte“ (für Gott), „einer wie ein Mensch“ „der wie ein Mensch gestaltet war“ (Menschensohn). Der Seher schaut „ein gleichsam geschlachtetes Lamm“, und das eine Haupt des Tieres „gleichsam geschlachtet“. Er redet von dem Tiere, das war und nicht ist, das das achte ist und doch zu den sieben gehört. Einmal geprägte geheimnisvolle Wendungen und Andeutungen werden in unveränderter Form als apokalyptische Schlagworte weitergegeben, so z. B. „der Greuel der Verwüstung“ (βδέλυγμα τῆς ἐρημώσεως), die geheimnisvollen 3½ Jahre der letzten Zeit der Not, die immer wieder umgedeutete Idee des vierten Tieres, die Hure, die auf den Wassern thront u. s. w. Gerne schildert der Apokalyptiker seine Gemütsstimmung beim Empfang der wunderbaren


  1. Bemerkenswert ist es, daß die Adler- und Menschensohn-Vision des IV Esra, die Zedernvision und Wolkenvision im II Bar durch Gott selbst gedeutet werden.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen 1906, Seite 012. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S012.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)