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baren Weissagungen, wie sein Antlitz sich verändert, seine Gebeine zerschmelzen, wie er vor Furcht zu Boden fällt (z. B. Dan 10,8f.; Apk 1,17). Immer ist er aufs äußerste erregt, er sieht Blitze vor Augen, er hört mächtige Stimmen, donnerartiges Geräuch. Der Leser wird an geeigneten Punkten darauf hingewiesen, daß er auf die großen himmlischen Geheimnisse achten soll. „Wer es liest, merke auf“ Mk 13,14, „hier ist Verstand und Einsicht von Nöten“. Apk 13,18 vgl. 13,9; 14,12f.

So spinnt der Apokalyptiker sich und seine Leser in den Zustand und die Stimmung des Geheimnisvollen ein. Er steht erschüttert vor der Fülle seiner Gesichte: „Ich hörte dies, aber verstand es nicht und sagte darum: o Herr! Was wird der Ausgang von alledem sein? Er antwortete Geh’ Daniel! denn bis zur Endzeit bleiben die Worte geheim und versiegelt“. Dan 12,8f.

Eigentümlich schwierig ist die Psychologie des Apokalyptikers. Vor allem wüßten wir gerne, ob er mit seiner persönlichen Erfahrung hinter seinen Gesichten und Visionen steht, ob er die Gesichte und ekstatischen Erfahrungen selbst erlebt hat. Haben wir in den jüdischen Apokalyptikern wirklich eine Schar von Ekstatikern zu sehen oder ist das visionär Ekstatische an der Apokalyptik nur literarische Form und Buchweiskeit? Das sind nun Fragen, bei denen sich nicht so einfach mit einem Ja und Nein antworten läßt. Im allgemeinen wird man die Möglichkeit wirklich ekstatischer Erfahrungen nicht leugnen können. Man kann dagegen nicht die oft sehr feine und minutiöse Ausgestaltung der Visionen ins Feld führen und die Frage erheben, wie denn dem Apokalyptiker aus seinem Traum oder seiner Ekstase jene Unsummen von Einzelheiten hätten im Gedächtnis bleiben können. Man wird hier vielmehr zu scheiden haben. Es kann sehr wohl angenommen werden, daß eine im Traum oder in der Vision gegebene Grundlage bei der schriftstellerischen Ausarbeitung erst ins Einzelne und Feine ausgearbeitet wurde. Auch das wird sich gegen eine wirkliche visionäre Erfahrung kaum ins Feld führen lassen, daß der Apokalyptiker nachweisbar von fremdem bereits geprägtem Stoff, ja von anderen uns noch vorliegenden apokalyptischen Schriften im Durchschnitt abhängig sei. Man wird demgegenüber natürlich annehmen dürfen, daß der Visionär sein Vorstellungswelt an der Lektüre heiliger Offenbarungsschriften und an sonstiger eschatologischer Tradition gebildet hat, und daß ihn diese Vorstellungswelt nun auch ins Traumleben und in das Leben visionärer Erfahrung hineinbegleitet. Der Traum webt sich erfahrungsgemäß aus den Erfahrungen und Eindrücken des wachen Lebens. Und was vom Traum gilt, gilt auch von der visionären Erfahrung. Denn das ist sicher: in einer meist fieberhaft erregten Zeit lebten die Apokalyptiker ganz und gar in den Vorstellungen des Endes, in den Fragen nach den Zeichen der letzten Zeit. Kein Wunder, wenn ihre Fragen, Wünsche, Hoffnungen sie hineinbegleiten in Zustände, die jenseits des taghellen Bewußtseins liegen. Auch wird man im allgemeinen visionäre Erfahrungen dem Zeitalter der Apokalyptik nicht absprechen können. Wenn auch das

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Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen 1906, Seite 013. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S013.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)