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wird nun kaum etwas einzuwenden sein. Vielmehr spricht vieles dafür. Als Überlebender einer älteren Generation galt er dieser als einziger und hervorragender Zeuge aus der ältesten Zeit. Wir sehen bereits wie Papias ihn einfach unter die μαθηταὶ τοῦ κυρίου einreiht, obwohl er freilich, wenn er wirklich bis an die Zeiten Trajans heranreichte und ein Werk von so jugendlichem Feuer wie die Apk um 93 schrieb, sich höchstens als Knabe oder kaum herangewachsener Jüngling mit Jesus eben berührt haben mag. Aber einer späteren Zeit galt er eben als ein Augenzeuge des Herrenlebens. Die kritischen Urteile über das Markus- und das Matthäusevangelium, die Eusebius (III 39,15f.) aus Papias Werk erhalten hat, führen das erste sicher (beachte die Einführung καὶ ὁ πρεσβύτερος λέγει), das zweite wahrscheinlich auf ihn zurück. Es pflegte in seiner Umgebung also selbst das Bewußtsein, daß er eine selbst den überlieferten Evangelien überlegene Kenntnis vom Leben Jesu besitze. Er muß auch, da der Zebedaide wieder gänzlich ausgeschlossen ist, dieser Johannes gewesen sein, von dem Polykarp dem Irenäus einst erzählte, und an dessen Worte über die Wunder und die Lehre Herrn dieser sich noch so gut erinnerte[1] (Brief an Florinus bei Euseb. V 20,6). So wird es verständlich, wie er einem begeisterten Jünger nun zu dem einzigen und wahren Hauptzeugen des Herrenlebens heranwuchs, wie dieser ihn überall in die unmittelbare Nähe des Herrn einführte, wie er auf diesen Zeugen gestützt, es wagen konnte, den alten Evangelien ein neues mit dem Anspruch der Überlegenheit gegenüberzustellen und seine auch weit über die seines Meisters hinübergewachsene christliche Gesamtanschauung direkt in das Leben Jesu hineinzutragen. — So wurde der Presbyter und Apokalyptiker zugleich einer späteren Zeit zum Hauptträger evangelischer Überlieferung. Wir werden ihn allerdings so hoch nicht einschätzen. Wenn in den Presbyterfragmenten des Irenäus auf ihn die Meinung zurückgeführt wird, daß Jesus fünfzig Jahre alt geworden sei (II 22,5), wenn er das Wort Jesu von der Fruchtbarkeit des Weinstocks in der Endzeit überlieferte (V 33,3), so werden wir der gesamten von ihm ausgehenden Evangelienüberlieferung von vornherein, was ihren historischen Wert betrifft, sehr mißtrauisch gegenüberstehen. Auch legt der ausgesprochen jerusalemische Charakter des Evangeliums, die Art, wie dieses gleichgültig an dem ganzen Leben Jesu in Galiläa vorübergeht[2], den Schluß nahe, daß der Zeuge desselben ein Jerusaleme war, und schon als solcher, wenn er überhaupt in die Zeit des Lebens Jesu hineinragte, nur wenig mit Jesus in Berührung gekommen sein kann.



  1. Polykarp erzählte ihm τὴν μετὰ Ἰωάννου συναναστροφὴν ... καὶ τὴν μετὰ τῶν λοιπῶν τῶν ἑορακότων τὸν κύριον. Wenn J. dann fortfährt: καὶ περὶ τοῦ κυρίου τίνα ἦν ἃ παρ' ἐκείνων ἀκηκόει (sc. Polykarp) καὶ περὶ τῶν δυνάμενων [Vorlage: δυνάμεων] αὐτοῦ καὶ περὶ τῆς διδασκαλίας, ὡς παρὰ τῶν αὐτοπτῶν τῆς ζωῆς τοῦ λόγου παρειληφὼς ὁ Πολύκαρπος ἀπήγγελλε ... so sind die von J. in der Mehrzahl eingeführten Augenzeugen des Polykarp natürlich der eine Johannes. J. liebt es aus einem Zeugen mehrere zu machen. Der Johannes des Polykarp kann aber kein Luftgebilde sein. Nur hat J. diesen kleinasiatischen Johannes mit dem Apostel vertauscht. Vgl. übrigens auch Polykarps Berufung auf seinen Verkehr mit Johannes „dem Herrenjünger und den übrigen Aposteln“ nach Irenäus bei Euseb. V 24,16.
  2. Vgl. besonders 4,1ff.; 4,44; 7,1.3; ferner 2,11; 4,54.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 045. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S045.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)