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der Kommentar nunmehr in seiner neuen Gestalt veröffentlicht ist, muß ich mich auf einige feststehende Hauptdaten beschränken[1].

V. vertritt bereits eine geschlossene Auslegungstheorie, die von allergrößtem Einfluß geworden ist: die Rekapitulationstheorie, d. h. die Anschauung, daß die Apk nicht eine Reihe auseinander folgender Ereignisse schildert, sondern in gewissen Partien das vorher bereits Gesagte rekapituliere. Nur bis zum sechsten Siegel (Apk 6) sieht er einen fortschreitenden geschichtlichen Verlauf, mit dem sechsten Siegel ist bereits seine Zeit, die Zeit der novissima persecutio erreicht[2]. Dann folgen in den sieben Posaunen die in letzter Zeit an den Ungläubigen vollzogenen Strafen. In den sieben Schalen aber wird der Inhalt der sieben Posaunen rekapituliert: et licet repetat per phialas non quasi bis factum dicitur: sed quoniam semel futurum est, quod est decretum a deo, ideo bis dicitur. quidquid igitur in tubis minus dixit, hic in phialis est. nec aspiciendus est ordo dictorum, quoniam saepe spiritus s., ubi ad novissimi temporis finem percucurrerit, rursus ad eadem tempora redit et supplet ea, quae minus dixit. nec requirendus est ordo in apocalypsi, sed intellectus. (de la Bigne 1256C cf. 1254D u. ö.). Es ist beachtenswert, daß gleich an der Schwelle der gesamten Auslegungsgeschichte der Apk dieser Grundsatz steht, die Theorie von der Recapitulatio, d. h. eigentlich der Verzicht, die Reihe der apokalyptischen Visionen in einem einheitlichen Verlauf zu begreifen. Bemerkenswert ist auch, daß gleich der erste Ausleger mit dem sechsten Siegel bis in die letzte Zeit hinunter geht.

Besonders interessant aber ist der Kommentar des V. für uns, weil sich in ihm die Deutung des Tieres auf Nero noch erhalten hat. Nach V.s Meinung ist der Kommentar unter Domitian[3] geschrieben, dem sechsten Herrscher von Galba an gerechnet. Der siebente, der nur kurze Zeit regieren wird, ist Nerva. Nach diesem, natürlich in der Anschauung V.s nicht


  1. Sehr interessant ist die Mitteilung Haußleiters (a. a. O. Sp. 194), daß in dem ursprünglichen Text des V. die Deutung der vier Tiere, Apk 4,7, auf die vier Evangelisten noch dieselbe ist wie bei Irenäus (Joh. der Löwe, Mk. der Adler), vgl. ferner die interessante Berührung V.s mit Papias in seinen Angaben über das Markusevangelium (Haußleiter ebend.).
  2. Dies ist zugleich ein Beweis für die Abstammung des Kommentars von Victorin. Ebenso verrät die überall sich findende Betonung der Einheit und Zusammengehörigkeit des alten und neuen Testaments einen Schriftsteller der älteren Periode (s. die Auslegung zu Apk 4,8; 10,1; 12,1 u. ö.), nicht am wenigsten auch die historische Deutung des Tieres (s. u.). Auch ist im Kommentar die Rede von den fortwährenden Dekreten des Senats contra verae fiaei praedicationem. Der Kommentar wurde also vor Konstantin geschrieben (Lücke 977). Hervorzuheben ist endlich, daß (in Apk 1,20) bei der Aufzählung der sieben Gemeinden, an die Paulus schreibt, die Annahme der paulinischen Abfassung des Briefes an die Hebräer ausgeschlossen ist.
  3. In Apc. 10,11. Johannes schrieb nach V. den Kommentar auf Pathmos von Domitian dorthin verbannt; nach seiner Befreiung schrieb er dann auf Bitten seiner Gemeinden sein Evangelium gegen die damals entstandenen Sekten des Valentin, Cerinth und Ebion.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 054. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S054.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)