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Mit ihm gewinnt die Auslegung der Apk neues Leben, sein Buch wurde ein beliebtes Lesebuch für alle, die nach den Zeichen der Zeit forschten.

Der Kommentar und die übrigen Schriften Joachims mit ihren Weissagungen entfalteten erst nach dem Tode Joachims ihren ganzen ungeheuren Einfluß. Der Mönchsorden, den Joachim geweissagt hatte, erstand wirklich in den Franziskanern (und Dominikanern). Und wiederum begannen die in die Opposition gedrängten spirituellen Franziskaner Joachim als ihren Propheten in Anspruch zu nehmen und seine Weissagungen von der Verderbnis der Kirche, von der kommenden neuen Zeit und dem reformatorischen Orden für sich auszunutzen.

In diesen Kreisen der Franziskaner scheint man die drei Hauptschriften des Joachim unter dem bedeutsamen Titel evangelium aeternum zusammengefaßt zu haben. Bei ihnen lief auch ein Liber introductorius in evangelium aeternum seu in libros abbatis Joachim um. Er ist aller Wahrscheinlichkeit nach von dem frater Gerardus, dem getreuen Anhänger Johann von Parmas, der seine Anhängerschaft mit ewigem Gefängnis büßen mußte, verfaßt. In dem Streit, der in Paris zwischen der Universität und den Bettelmönchen entbrannt war, benutzte man namentlich diese Schrift, um den Orden der Franziskaner als der Ketzerei verdächtig zu brandmarken. Als der Lärm darüber groß wurde, schickte der Bischof Reginald von Paris den liber introductorius an Innocenz IV. Dieser suchte die Sache hinauszuzögern und erst sein Nachfolger Alexander IV. setzte im Sommer 1255 eine Untersuchungskommission in Anagni ein, deren Mitglied auch der Kardinal Hugo v. St. Caro war. Auf den Bericht dieser Kommission hin wurde dann durch ein Breve des Papstes 23. Okt. 1255 die Vernichtung des liber introductorius (wie auch anderer verdächtiger Papiere, schedulae) angeordnet. Die Sätze, welche von der Kommission aus dem Introductorius ausgezogen sind, zeigen in der Tat, wie bei den Franziskanern die joachimitische Schwärmerei sich üppig entwickelt hatte. Der erste dieser Sätze lautete: „quod circa MCC annum incarnationis domini exivit spiritus vitae de duobus testamentis, ut fieret evangelium aeternum“ (d. h. die Schriften des Abt Joachim). Und wie man so den Joachim zu einem das alte und neue Testament überragenden Propheten machte, so war man gleicherweise überzeugt, daß der von ihm geweissagte Orden kein andrer als der Franziskaner-Orden sei: „quod evangelium aeternum traditum transmissum sit illi ordini specialiter, qui integratur et procedit aequaliter ex ordine laicorum et clericorum (quem ordinem appellant nudipedum)“.

Die Hauptquelle für die Beurteilung der schwierigen Frage nach dem evangelium aeternum bilden Auszüge aus dem Sitzungsprotokoll von Anagni, die in mehrfacher Überlieferung auf uns gekommen sind. Sie sind,enthalten a) im Cod. 1726 der Bibliothek zu Paris (teilweise bereits bei Quétif et Échard, Script. ord. praed. I 202 veröffentlicht). b) im Cod. 1706 ebenda; (daraus mit Kürzungen abgedruckt bei du Plèssis d’ Argentré, Collectio judiciorum I 163-164). c) in der zweiten Hälfte und hier vollständiger in Henricus de Herewordia, liber de rebus memorabilibus sive Chronicon ed. Potthast Gotting. 1859 p. 181ff. — Dazu sind, wenn man sich ein ungefähres Bild von dem Tatbestand machen will, Renans Bemerkungen

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 076. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S076.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)