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der antichristlichen Mächte hier am erbittertsten. Der unmittelbare Vorläufer des Antichrist, der antichristus mysticus, ist das Papsttum, das sich für die spirituelle Auffassung der Regel des Franziskanerordens erklärt hat (Baluz. 241-44). Die Kirche wird in den Tagen des sechsten status zugrunde gehen, aber den Juden und Heiden wird das Evangelium gepredigt werden (217-219). Als antichristus magnus wird endlich der Kaiser Friedrich II (redivivus) mit einem Pseudopapst erscheinen (253). Das Kommen Jesu aber wird nicht mit dem siebenten status, sondern erst am Ende der Dinge erwartet. Bei Oliva kann man nun allerdings wirklich von der Idee einer von Franciscus ausgehenden, das neue Testament überbietenden Offenbarung reden.

Verwandt ist in seinen apokalyptischen Auffassungen Ubertino de Casale[1], ein Anhänger Johanns v. Parma, der die Anschauungen Joachims nach Süddeutschland an den Münchener Hof brachte. Mir ist von seinen Schriften der arbor vitae crucifixae zugänglich[2]. In dieser umfangreichen Schrift ist die Auslegung zur Apk namentlich im fünften Buch zu finden. Seine Autoritäten sind Augustin, Hieronymus, Richard von St. Victor, vor allem Joachim. — Auch für ihn steht die durch Franciscus geschehene Reform im Mittelpunkt seiner Ausführung, auch hier finden wir (wie bei Oliva) die scharfe antipäpstliche Stimmung (verbunden mit einer antikaiserlichen). Das erste Tier (Apk 13) ist ihm Bonifacius VIII. 1294-1303, das zweite Benedict XI. 1303-1304. Die Schilderung der beiden Päpste bietet ein interessantes Stimmungsbild. Daß die Franziskaner Benedict zu vergiften imstande waren, wie von ihnen das Gerücht geht, wird darnach nicht unwahrscheinlich. Selbst die Zahl 666 wird mit Berufung auf Justin (?) auf Βενεδίκτος (mit griechischen Buchstaben) gedeutet. — Weithin hat auch in späterer Zeit die phantastische joachimitische Auslegungsweise geherrscht. Ein Landsmann des Joachim,

Telesphorus, schrieb im Jahre 1386 in Anlehnung an Joachims Ideen und andre Weissagungsbücher einen Traktat „de magnis tribulationibus et statu ecclesiae“. Telesphorus ist ein Parteigänger des französischen Königtums und weissagte den Sieg des französischen Königs und die Erhebung eines französischen Papa angelicus[3]. Die Beliebtheit dieser Schriften zeigt sich auch darin, daß z. B. Venedig 1516 ein Sammelband: „abbas Joachim magnus“ (enthaltend das Werk des Telesphorus, Johannis Parisiensis de antichristo[4], Ubertinus’ tractatus de septem statibus ecclesiae) erschien (vgl. Kampers 132). — Alcasar (Einleitung 12) erwähnt unter den chiliastisch gestimmten Nachfolgern des Joachim noch Seraphinus de Fermo (enarratio in Apocalypsin; Walch p. 782 gibt eine Ausgabe Antwerpen 1587 an); Coelius Pannonius; Bullengerus (s. Walch p. 782; Petri Bullengeri ecphrasis in apoc. Paris 1589, commentarius locupletissimus in apoc. Paris 1617)[5]. — Abhängig von Joachim scheint auch der von Alcasar erwähnte Joannes Annius Viterbiensis zu sein, der Kap. 13 auf die Türken deutete und das Weltende auf 1481 berechnete (Notizen aus ihm in den Kommentaren von Sebastian Meyer und Marloratus vgl. Abschn. 10). Über den


  1. Vgl. Döllinger, Weissagungsglaube und Prophetentum S. 332f. E. Knoth, Ubertino v. Casale 1903.
  2. Nach Döllinger S. 333,1 im Jahre 1305 verfaßt. Der tractatus de septem ecclesiis ist nach E. Knoth eine unechte Kompilation aus dem arbor vitae. Über die engen Beziehungen des Arbor vitae zu Olivas Postille vgl. E. Knoth ebend.
  3. Vgl. Döllinger 349; Kampers 124. Ein Antitelesphorus von deutschem Standpunkt wurde von einem, der sich Gamaleon nannte, und dem Papst Bonifacius IX. 1390 seine Blicke in die Zukunft überreichte, geschrieben. Döllinger 351, Kampers 127. Auch Heinrich v. Langenstein, Liber contra vaticinia Tel. (Döllinger 348 u. 369 Anm. 118, Kampers 126) ist hier zu nennen.
  4. Johann von Paris (14. Jahrh.) stand in den Kämpfen der Imperialisten und Kuxialisten an der Spitze der Verfechter der Selbständigkeit des französischen Staatswesens.
  5. Kampers 146 erwähnt noch eine Auslegung zur Apk von Bartholomäus Holzhauser (1613-1658), der in die joachimitische Literatur einzureihen sei.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 079. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S079.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)