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Einfluß Joachims und seiner Periodenlehre auf spätere protestantische Ausleger bis Coccejus vergleiche man den Abschnitt 13.

Mit dem oben Ausgeführten ist zugleich deutlich geworden, daß der Einfluß der Schriften Joachims sich viel weiter erstreckte als auf Kommentatoren der Apk oder apokalyptische Traktatenschriftsteller. Ihnen kommt geradezu eine weltgeschichtliche Bedeutung zu, sie haben die Stimmung der Folgezeit mächtig beherrscht. Unter den Nachfolgern Joachims, namentlich in den Kreisen der oppositionellen Franziskaner kam die Meinung auf, die dann dreihundert Jahre lang Geschichte gemacht und die Gemüter beherrscht hat, daß das Papsttum und die Hierarchie der Vorläufer des Antichrist oder gar der Antichrist selbst sei. Ein Vergleich der Schriften von Johannes Oliva und Ubertino de Casale zeigt, wie schon in den Kreisen der Franziskaner diese Stimmung ständig an Schärfe gewann. Von ihr haben dann alle Reformer und Revolutionäre der nächsten Jahrhunderte bis tief in die Anfänge der Reformation gelebt. Zu ihr gesellte sich dann ein andrer mächtiger Glaube. In den joachimitischen Kreisen und weit darüber hinaus brach sich die Überzeugung Bahn, daß der große Umschwung der Zeiten nahe bevorstehe. Man lebt in den Zeiten des letzten entscheidenden Kampfes, in dem auf beiden Seiten die Kräfte bis aufs äußerste gespannt sind. Nach diesem Kampf aber soll hier auf Erden das neue goldne Zeitalter kommen. Diese Schlagworte und Utopien waren es, die weit über die Kreise der Franziskaner in Masse den gemeinen Mann ergriffen[1]. Hatten doch die oppositionellen Franziskaner durch ihre Angriffe gegen den Reichtum der Kirche und die Üppigkeit der Hierarchie den joachimitischen Gedanken eine soziale Wendung gegeben. So wurden die joachimitischen Schriften und was sich daran anlehnte die Hoffnungsbücher des einfachen gemeinen Mannes, der Laien, aller bedrückten Stände. — Von der Herrschsucht, Anmaßung, Geldgier und Bedrückung der Hierarchie, von der toten Gelehrsamkeit der Theologie, die in der Kirche herrschte, ja von aller sozialen Ungerechtigkeit und Bedrückung erwartete man Erlösung und Befreiung in dem kommenden siebenten Zeitalter. In dieser Hoffnung wurzelten dann aber auch reformatorische Bestrebungen verschiedenster Art, in ihnen fand man den Mut gegen die herrschenden Zustände Front zu machen[2]. Und diese Bewegung wuchs immer


  1. Namentlich scheinen jene Ideen und Hoffnungen durch die Kreise der Begharder weiter unter die Masse des Volkes getragen zu sein. Vgl. Schneider, Joachim v. Floris 72f.
  2. Döllinger macht überall auf die Beziehungen zwischen jener antipäpstlichen, apokalyptischen Stimmung und dem praktischen Vorgehen der Kirchenreformer aufmerksam. Über Segarelli und Fra Dolcino vgl. Engelhardt 89ff., Döllinger 318, Schneider 54-58; über Cola di Rienzi Döllinger S. 338-40; über die Weissagungen des Jean la Rochetaillade S. 341, Kampers 116; über den Mönch Theodor, den Clemens VII. einkerkern ließ, weil er sich für den geweissagten Papa angelico des neuen Zeitalters hielt 346; über Savonarola 346f.; über die eschatologischen Anschauungen der Katharer vgl. Gieseler, Kirchengesch. II 2 560 Anm. — Hierher gehört weiter die eschatologiche Sekte von Schwäbisch Hall, eine Bewegung, die vielleicht von dem Dominikaner Arnold ausging (vgl. dessen etwa 1246 verfaßte Schrift epist. de correctione ecclesiae ed. Winkelmann Berlin 1865; Kurtz, Lehrb. d. Kirchen-Gesch. I hrsg. v. Bonwetsch 1899 S. 270). Endlich wurzeln auch eine Reihe deutscher Schriften, WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt die eine kirchliche Reform verlangten, ganz in joachimitischen Ideen, so die sogenannte Reformation des Kaisers Sigismund (s. Werner l. c. 79ff., Kampers 138ff.) und des Bischofs Berthold von Chiemsee „onus ecclesiae“, über die neuerdings eine den Stoff allerdings nicht erschöpfende Monographie von Werner, Onus ecclesiae (1901), vorliegt, vgl. Kampers 144. Auf der andern Seite zeigen sich auch Geister wie Nicolaus v. Cusa und Baco stark von jenen Ideen berührt (Lücke 1011). Interessant ist endlich die Vermählung joachimitischer Gedanken mit astrologischen Spekulationen in den Praktiken Lichtenbergers (15. Jahrh.), Döllinger S. 357, Werner S. 95, Kampers 140.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 080. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S080.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)